Warum sollten wir nach der Corona-Krise Neubauten verbieten, Herr Fuhrhop?

Die Bauwirtschaft muss zur Umbauwirtschaft werden, fordert der Ökonom Daniel Fuhrhop. Er forscht an der Universität Oldenburg zum Thema flächensparendes Wohnen und meint, Neubau sei schädlich und überflüssig. Ein Gastbeitrag.

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Daniel Fuhrhop
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Der Bauüberschuss betrug im Jahr 2018 rund 174 000 Wohnungen, sagt der Betriebswirt Daniel Fuhrhop. Er ist der Meinung, die Bauwirtschaft müsse deshalb zu einer Umbauwirtschaft werden. © istock

Nach der Krise leert sich die Kasse. Billionen Euro sollen die Konjunktur ankurbeln, und es ist unsicher, ob das gelingt. Ganz sicher aber werden die Kassen danach leer sein: Keine gute Zeit für Prestigebauten wie Hauptstadtflughäfen, Isarphilharmonien und Kunsthallenerweiterungen. Doch selbst der alltägliche Neubau kostet zwei- bis dreitausend Euro pro Quadratmeter. Da summiert sich ein neues Studentenwohnheim, wie das demnächst in Mannheim in B6 geplante, auf über zehn Millionen Euro. Acht Millionen Euro hat es vor kurzem bereits gekostet, das Bauen in Waghäusel auch nur vorzubereiten und dort ein Baugebiet zu planen und zu erschließen: Äcker und Wiesen wurden zerstört, Kanäle und Leitungen verlegt und Straßen gebaut.

Freilich kostet es auch Geld, alte Häuser umzubauen, doch meist weniger – vor allem dann, wenn die Straßen und Leitungen schon da sind. Am günstigsten ist es, wenn noch nicht einmal umgebaut werden muss: Es gibt mehr als genug Wohnraum, der nur darauf wartet, genutzt zu werden. Dazu später mehr, doch erst einmal zum wahren Grund, das Bauen zu verbieten. Geldverschwendung ist zwar ärgerlich, aber nicht verboten. Ein Verbot braucht einen stärkeren Grund, und den liefert das Bauen mit der Klimazerstörung.

Hoffnung auf mehr Bauscham

Nach der Coronakrise ist in der Klimakrise. Immerhin spielte das Klima eine Rolle bei der Entscheidung, wohin die Konjunkturmilliarden fließen; auch deswegen gibt es keine Autokaufprämie. Aber die Kommunen erhalten viel Geld „für Investitionen“, und das heißt oft „für Beton“. Allein die Zementherstellung verschuldet jedoch acht Prozent der weltweiten Treibhausgase, insgesamt zwanzig bis dreißig Prozent verursachen Bauen und Gebäude. Darum sollte niemand mehr stolz darauf sein, gebaut zu haben, sondern eine Bauscham empfinden.

Von der Bauscham ist es einen entschlossenen Schritt weiter bis zum Bauverbot. Das erfordert ein so radikales Handeln, wie das bisherige Bauen radikal falsch war, mit wuchernden Städten, versiegelten Böden und zersiedelten Landschaften. Beenden wir das mit der gleichen Konsequenz, wie in der Coronakrise gefährliches Handeln eingedämmt wurde, denn wir befinden uns nach wie vor in einer Krise.

Zum Trost können wir uns darauf besinnen, dass jede Krise neue Chancen birgt. Bei Corona erlebten wir viele Menschen, die anderen helfen, mit wunderbaren Beispielen für Solidarität und Rücksichtnahme. Eine lebendige Nachbarschaft ist nicht erst seit Corona das beste Mittel gegen Einsamkeit und bringt Hilfe für ältere Menschen. Lebendiger wird die Nachbarschaft, wenn wir Wohnraum besser nutzen. Dieser Wohnraum ist längst gebaut. Wir müssen nicht immer mehr neu bauen, denn es wird schon zuviel gebaut.

Ständig wird das Dogma wiederholt, dass mehr gebaut werden müsse. Zweifellos suchen viele Menschen in Großstädten eine Wohnung, aber Neubau beseitigt nicht diesen Wohnungsmangel, wie die Zahlen zeigen. Rechnerisch wird nämlich bereits zuviel gebaut, wir haben einen Bauüberfluss: 173 900 Wohnungen betrug er im Jahr 2018. Damals stieg die Einwohnerzahl in Deutschland um 227 000. Weil in jeder Wohnung durchschnittlich 2,0 Menschen wohnen, hätten wir für die zusätzliche Bevölkerung 113 500 Wohnungen gebraucht. Es entstanden aber 287 400 (davon nur jede zehnte durch Umbau, 90 Prozent also durch Neubau)! Dementsprechend betrug 2018 der Bauüberfluss 173 900 Wohnungen in erster Stufe.

Mangel trotz Überfluss

In zweiter Stufe wird diese Zahl gesenkt um den Abriss, denn man kann zugestehen, abgerissene Wohnungen durch neue zu ersetzen. Doch der Abriss wird in Deutschland nicht genau ermittelt; Schätzungen zufolge werden jährlich zwischen 20 000 und 80 000 Wohnungen abgerissen. Diese Unklarheit bedeutet für den Bauüberfluss zweiter Stufe: es wurden rechnerisch wohl mehr als 100 000 Wohnungen zuviel gebaut.

Wo sind diese überzähligen Wohnungen oder anders gefragt: warum fehlen trotzdem welche? Aus drei Gründen: Spekulation, regionale Ungleichheit und der unsichtbare Wohnraum. Spekuliert wird mit Wohnungen in Berlin oder Frankfurt, die entweder zweckentfremdet und an Touristen vermietet werden, oder die leer stehen, weil sie nur als Renditeobjekte dienen.

Wenn das Investment Mieter vertreibt, nenne ich das Investification (angelehnt an die Gentrification, bei der reiche Menschen ärmere vertreiben). In Manhattan betrifft das etwa 80 000 leerstehende Wohnungen, in Deutschland gibt es bisher keine Zahlen dazu. Regionale Ungleichheit sorgt für übervolle Metropolen hier und schrumpfende Kleinstädte dort. Um das zu ändern, gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die an dieser Stelle nicht weiter geschildert werden, außer eine: Man schaut oft nur zu den Ideen, unbeliebte Gegenden aufzuwerten. Stattdessen ist es ebenso wichtig, die beliebten Orte nicht weiter vollzustopfen.

Zum Beispiel wirbt Frankfurt seit dem Tag der Brexit-Entscheidung mit einer englischen Webseite um Leute aus der Finanzwirtschaft, die aus London zuziehen sollen und damit Frankfurt noch voller und teurer machen. Besser wäre es für regionalen Ausgleich, wenn man in Frankfurt für einen Umzug in den Odenwald werben würde. Neben Spekulation und regionaler Ungleichheit verbirgt sich ein entscheidender Grund für Wohnungsmangel im „unsichtbaren Wohnraum“. Das sind zum Beispiel ehemalige Kinderzimmer, die nicht mehr genutzt werden. So leben in Mannheim etwa 15 000 Menschen allein auf über 80 Quadratmetern, dazu kommen 6 000 Haushalte zu zweit auf über 120 Quadratmetern. Damit gibt es hier über zwanzigtausend Wohnungen, die so groß sind, dass eine oder mehrere Personen noch Platz fänden. Dort leben oft ältere Menschen allein im Haus und sind dabei nicht glücklich, sondern würden sich freuen, wenn man ihnen bei einer Veränderung hilft.

Nähe mit neuem Wert

Es geht darum, Menschen zusammenzubringen. In Zeiten von Corona zeigt sich trotz des gebotenen Abstands der Wert der Nähe: So helfen Jüngere den Älteren in einer lebendigen Nachbarschaft beim Einkaufen. Dafür muss es aber Nachbarn geben, und sie fehlen mancherorts. Wer allein im Haus lebt, wo nebenan auch nur einer allein lebt, dem fehlt die Nähe, mit der man Einsamkeit überwindet. Doch es gibt Alternativen, es gibt 100 Werkzeuge für Wohnraum in Altbauten.

Man kann sie als persönliche Ratschläge formulieren: Trennen Sie eine Einliegerwohnung ab – besorgen Sie sich nette Mieter – oder holen Sie sich hilfsbereite Untermieter direkt in die eigene Wohnung! Wenn Sie möchten, dann ziehen Sie in eine kleinere Wohnung, in eine WG oder in ein Wohnprojekt. Das alles stellt zugleich ein politisches Programm dar, denn die Veränderungen muss man fördern und vermitteln.

Etwa durch „Wohnen für Hilfe“: So heißt eine Vermittlungsstelle für „Untermieter“, die keine Miete zahlen, sondern helfen. Oder durch „soziale Wohnraumvermittler“: Sie besorgen Mieter, die dringend Wohnraum benötigen, und kümmern sich darum, dass beim Mietverhältnis alles klappt. Damit solche Vermittlungen gelingen, braucht es professionelles Personal, genauso bei der Förderung von Umzügen und Umbauten.

Agentur für neuen Wohnraum

Ein Dutzend Mitarbeiter, dazu jeweils ein paar Tausend Euro Zuschuss für den Umzug in eine kleinere Wohnung oder für das Abtrennen einer Einliegerwohnung: soviel kostet eine Wohnraum-Agentur, die den unsichtbaren Wohnraum entdeckt. Sie schafft dort hunderte Wohnungen, die im Neubau viel teurer gewesen wären, mit acht Millionen Euro für Baugrund auf Äckern oder zehn Millionen Euro für ein Studentenwohnheim.

Stattdessen ersetzt eine „Umbauwirtschaft“ mit Umbau und Beratung die auf Beton ausgerichtete Bauwirtschaft. Eine Voraussetzung dafür ist jedoch, den Neubau zu beenden, denn er konkurriert mit dem Altbau. Jeder Euro für das Bauen fehlt beim Umbau. Alle Bewohner von Neubauten fehlen in Altbauten.

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  • Daniel Fuhrhop ist Betriebswirt und arbeitet an der Universität Oldenburg.
  • Seine Streitschrift „Verbietet das Bauen!“ erschien im Frühjahr in erweiterter Neuauflage.
  • Statt einer Vortragstour entstand auf Youtube der Online-Vortrag „100 Werkzeuge für Wohnraum in Altbauten“.

 

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