Wie revolutioniert die digitale Generation die Arbeitswelt, Herr Riederle?

Um zukunftsfähig zu sein, müssen Unternehmen in Technologien investieren. Und junge Arbeitnehmer gewinnen, die viele Ideen und großes Potential mitbringen - aber auch ihre eigene Vorstellungen haben, sagt Philipp Riederle. Ein Gastbeitrag.

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Philipp Riederle
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Tabletcomputer, Laptop - technische Geräte und die damit einhergehende permanente Veränderung gehören für viele zum Arbeitsalltag.

© istock/Christian Kaufmann

Wir sind die Generationen, die mit der digitalen Welt aufgewachsen sind. Wie wir arbeiten und was wir fordern, ist die logische Konsequenz aktueller gesellschaftlicher und technologischer Gegebenheiten. Wir denken und leben das weiter, was unsere Vorgänger auf vielen Ebenen vorbereitet haben: Die Digitalisierung hat vor uns begonnen, ebenso die Globalisierung, der demographische Wandel, der Fachkräftemangel. Veränderungen entwickeln ein vorher nie dagewesenes Tempo. Hinzu kommt, dass das Ganze bereits untermalt war von der Unzufriedenheit in der Arbeitswelt -und den Potentialen, um es besser zu machen.

Umso verwunderlicher erscheint es uns, wenn (nicht-)potentielle Arbeitgeber sich über unsere Erwartungen, Forderungen und fehlenden Loyalitäten brüskieren und die hohe Fluktuation in ihren Unternehmen allein darauf zurückführen. Uns fällt es wirklich schwer zu verstehen, warum es in vielen Firmen häufig noch immer so zugeht wie vor 25 Jahren: starre Hierarchien, lange Wege, schlechte Kommunikation, kaum sinnvolle Technik geschweige denn eine digitale Strategie - und der Mitarbeiter, der als "gehorsamer Untergebener" Dienst schiebt.

Ehrlich gesagt wollen wir das gar nicht verstehen. Was wir wirklich wollen, ist: etwas bewegen, leisten und Sinn stiften, und zwar mit unserer Arbeit, unserem Wissen und im Team. Möglichst sofort, ab dem ersten Arbeitstag. Denn es ist nicht nur die Technologie, die sich im Wandel befindet. Die Menschen, die Arbeit ausführen und ausführen werden, sind es ebenso. Sie erwarten entsprechend gedachte Arbeits- und Organisationsformen für ihre neuen Anforderungen, Aufgaben und ihre Produktivität. Die Innovationen selbst bringen vieles davon bereits mit, und die Mitarbeiter auch. Unternehmen müssen das nur endlich nutzen, wenn sie morgen noch am Markt sein möchten.

Sie müssen sich jetzt flexibel, reaktions- und innovationsfähig zeigen. Schluss mit langatmig erstellten Fünf-Jahres-Plänen, die stur befolgt werden! Schluss mit Silo-Formen und starren Hierarchien, an deren Spitze einer alles allein bestimmt! Denn es braucht schnelle Quervernetzungen, sinnvoll verkürzte Prozesse und Einbindung der eigenen Mitarbeiter, um gut und rasch entscheiden zu können. Sonst wird der Wettbewerb immer voraus sein und die eigenen Mitarbeiter nicht in der Lage, die geforderte Schnelligkeit und Flexibilität mitzutragen. Nehmt uns mit in die Verantwortung - das wollen wir!

Gerade die Mitarbeiter machen als höchstes Gut eines Unternehmens seinen Erfolg maßgeblich aus. Sie können und werden die Bedürfnisse der Kunden und der Märkte befriedigen, doch dafür benötigen sie gewisse technische und organisatorische, aber auch kommunikative, intellektuelle und zwischenmenschliche Strukturen. Grundlegende Basis hierfür ist ein positives Menschenbild, das Unternehmer verinnerlichen müssen: Mitarbeiter wollen gern arbeiten, sie möchten das Unternehmen nach vorne bringen, etwas bewegen. Das gilt grundsätzlich für alle Generationen, wir melden uns nur am lautesten zu Wort. Viele von uns haben das Schuften unserer Eltern gesehen und wollen die Chance nutzen, es anders zu machen.

Wir haben Freude daran, etwas zu gestalten und Erfolge mit anderen zu leben und zu teilen. Das gehört für uns übrigens zur Selbstverwirklichung: Arbeit bedeutet in erster Linie Leben. Wir trennen nicht mehr streng zwischen Berufs- und Privatleben. Und genau deshalb muss Arbeit lebenswert sein, uns ausfüllen, glücklich machen, reizen. Und warum auch nicht? Gerade unsere heutige Arbeitswelt, die stupide, redundante Arbeiten automatisiert und von Robotern erledigen lässt, bietet die Chance, stattdessen mit Elan herausfordernden Aufgaben nachzugehen. Arbeit kann und darf nicht nur die Zeit sein, die wir als Tausch für Geld absitzen, um erst nach Feierabend Besseres, Wichtiges tun zu können.

Selbstverwirklichung lässt sich schlecht in Geld aufwiegen. Klar braucht man Geld, am besten nicht zu wenig. Aber man kann sich doch nicht alles kaufen, und wir wollen diese materielle (oder sonst irgendeine) Karotte vor unserer Nase nicht, um zu arbeiten oder zu leben. Wir funktionieren weder über Druck, Zwang oder Dienstanweisung noch arbeiten wir allein für Einnahmen. Wir sind keine Pfennigfuchser - werden aber zu "Lebensfuchsern", wenn wir auf zusammenhangslose, sinnlose Aufgaben treffen, keinen Teamanschluss finden, Wochen auf eine Rückmeldung von Vorgesetzten warten oder ohne effiziente Strukturen in tristen Büros sitzen. Als Wissensarbeiter (und das sind wir bald alle) lassen wir uns heute nicht mehr so einfach abspeisen, schon gar nicht mit ein paar Euro.

Es funktioniert eher umgekehrt. Schauen Sie zum Beispiel auf Start-ups mit ihren oft unterdurchschnittlichen Gehältern: Erfahren Mitarbeiter mehr Wertschätzung, werden neben ihren Ideen auch ihre sozialen Kompetenzen gewürdigt, rückt das Geld in den Hintergrund. Nicht aber die Aufmerksamkeit, die Einbindung in das große Ganze und der Arbeitswille. Es ist nicht Naivität oder irgendeine verdrehte Version des amerikanischen Traums, sondern die Entscheidung für die persönliche Entwicklung: Hier können wir mitentscheiden, mitgestalten und vor allem ausprobieren, lernen und wachsen.

Diese Möglichkeiten werden uns in vielen Unternehmen noch immer verwehrt - auf allen Ebenen. Technologie, Vernetzung, Kommunikation? Error. Der Chef als Dienstleister, der seinen Mitarbeitern den Rücken freihält, Feedback gibt und nimmt? Gesucht. Kundenorientiertes, kreatives, innovatives Vorgehen in agilen Teams? Fehlanzeige.

Wir sind für die aktuell hohe Fluktuation und ihre Kosten nicht die alleinig Schuldigen. Uns macht es auch nicht unbedingt Spaß, innerhalb von wenigen Jahren Jobs, Wohnungen und Freunde zu wechseln und von Hintertupfingen über New York nach Posemuckel zu ziehen.

Unter den genannten Bedingungen sind wir aber schneller als unsere Vorgängergenerationen bereit zu gehen, wenn wir uns nicht verwirklichen können. Wir wollen (und müssen) uns fortwährend optimieren, denn das bedeutet für uns Sicherheit: Ständig in Bewegung bleiben, dazulernen, sich weiterentwickeln können ist das, worauf wir uns verlassen - nicht auf Geld und Status wie die früheren Generationen. Prinzipiell ist das innerhalb eines Unternehmens möglich, dank Fortbildung, horizontalen Fach-Karrierewegen und digitaler Strategien eröffnen sich genug Möglichkeiten zu wachsen. Wenn diese Voraussetzungen aber fehlen, schalten wir nicht in den "Arbeit nach Vorschrift"-Modus und bleiben 30 Jahre, wie es früher der Fall gewesen sein mag. Wir minimieren dann das Risiko, indem wir das starre Silo verlassen.

Viele Unternehmer mögen hier den Kopf schütteln: "Wir sind doch schon digitalisiert und bieten dazu Obstteller, Kickertische und Großraumbüros!" So weit, so kurz gedacht. Denn solange der Chef nicht vollen Einsatz zeigt, die Teams nicht mitentscheiden dürfen und können, Social Media nicht erwünscht ist und die Arbeitszeitmodelle nicht an die Belegschaft angepasst sind, bringen die saftigsten Kirschen nichts. Wenn Unternehmer sich (und ihre Mitarbeiter) dagegen beim Betreten des Büros mit einem unbewussten vorfreudigen Lächeln erwischen, keine Angst vor Innovation haben - dann haben sie verstanden, was ich meine.

Genau das wird sich in Engagement, Leistung und Erfolg niederschlagen. Unternehmenskultur und Digitalisierung sind mehr die strategische Ausrichtung, aus der erst die operativen Stränge entstehen können. Stimmt erstere, werden sich Aufgaben, Strukturen und Methoden fast automatisch eingliedern.

Was wir also fordern? Eine Unternehmenskultur, die den Menschen in den Vordergrund stellt. Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter lateral begleiten und ihnen die Umgebung schaffen, in der sie optimal arbeiten können. Entwicklungs- und Fortbildungschancen, effiziente Strukturen, Kommunikation auf Augenhöhe, flexible Arbeitszeiten und -orte, Herausforderungen, Spaß - und jede Menge Möglichkeiten, wirklich mitzugestalten. So wird ein Unternehmen zur Familie und aus Mitarbeitern echte Fans, die bleiben.

Für uns ist dieses Konzept von Arbeit so selbstverständlich wie die digitale Welt. Und all das ist nicht so schlimm, wie manche glauben. So kann ganz im Gegenteil daraus ein zukunftsfähiges und erfolgreiches Unternehmen erwachsen. Wir stehen in den Startlöchern - und tun dies immer wieder, wenn es sein muss. Finden wir jedoch eine Unternehmenskultur vor, die sich auf uns einlässt und bereit ist für Fortschritt, gibt es keinen Grund für uns, diese Unternehmensheimat so schnell wieder zu verlassen.

 

 

Philipp Riederle

  • Philipp Riederle, 1994 in München geboren und im schwäbischen Burgau aufgewachsen, produziert bereits mit 13 Jahren vielbeachtete Podcasts. Mit 15 Jahren gründet er seine eigene Firma Phipz Media.
  • Heute ist er Deutschlands jüngster Unternehmensberater. Er hält international Vorträge zu Themen wie Social Media, Generation Y und über die Zukunft der Arbeit. Mehr als 300 Unternehmen, darunter Audi, Deutsche Bank, Bertelsmann, Daimler Benz und Telekom, hat Riederle bereits beraten. Im Rahmen des Wissenschaftsjahrs 2014 wurde er von der Bundesregierung als einer der führenden „Digitalen Köpfe Deutschlands“ ausgezeichnet.
  • Riederle studiert Soziologie, Politik und Ökonomie an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.
    Nach dem „Spiegel“-Bestseller „Wer wir sind und was wir wollen“ (2013) ist „Wie wir arbeiten und was wir fordern“ sein zweites Buch.
  • Mehr Informationen unter www.philippriederle.de

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