Stefan Vetter - plädiert im Rahmen der Diskussion über den Mindestlohn für die Stärkung von Tarifverträgen: Absolute Untergrenze

Stefan Vetter plädiert im Rahmen der Diskussion über den Mindestlohn für die Stärkung von Tarifverträgen

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Stefan Vetter
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Auch die größten Skeptiker sind inzwischen weitgehend verstummt: Der Mindestlohn in Deutschland ist im Großen und Ganzen eine Erfolgsgeschichte. Herrschte bei seiner Einführung im Jahr 2015 noch Wehklagen darüber, dass es zu diesem Schritt gekommen war, so konzentriert sich die Aufmerksamkeit mittlerweile darauf, um wie viel die allgemeine Lohnuntergrenze regelmäßig angehoben wird.

Verantwortlich dafür ist nicht die Bundesregierung, sondern eine unabhängige Expertenkommission. Und das ist gut so. Denn damit wird einem politischen Überbietungswettbewerb vorgebeugt. Nun allerdings ist die politische Debatte über eine außerordentliche Erhöhung des Mindestlohns voll entbrannt.

Arbeitsminister Heil schürt die Erwartungen nach Kräften, indem er einer Anhebung auf zwölf Euro pro Stunde das Wort redet. Dabei sind die nächsten Anpassungsschritte schon bis Mitte 2022 klar festgelegt. Laut Kommissionsbeschluss steigt der Mindestlohn in dieser Zeit stufenweise von jetzt 9,35 Euro auf 10,45 Euro. Das ist immerhin eine Steigerung um knapp zwölf Prozent in einem Zeitraum von 18 Monaten.

Die Experten haben dabei einmal mehr die Balance zwischen den finanziellen Interessen der Beschäftigten und der Notwendigkeit, Jobs zu erhalten, im Blick gehabt. So, wie es das Gesetz vorschreibt. Darin ist zwar auch eine Überprüfung dieser Regularien vorgeschrieben. Aber neue beziehungsweise ergänzende Kriterien für weitere Erhöhungsschritte können frühestens in zwei Jahren greifen. Heils Zwölf-Euro-Plädoyer ist also Zukunftsmusik.

Es gibt beim Mindestlohn aber andere Macken, die sofort behoben werden müssten. Das macht der aktuelle Prüfbericht des Arbeitsministeriums deutlich. Viele Beschäftigte wären demnach schon froh, wenn sie überhaupt gemäß der aktuell geltenden Lohnuntergrenze bezahlt würden. Denn nach wie vor verwenden manche Arbeitgeber eine Menge Fantasie darauf, die Vorgaben zu umgehen. Zum Beispiel durch Schummelei bei der Erfassung der Arbeitszeit oder durch eine ungerechtfertigte Anrechnung von Kost und Logis.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der Mindestlohn, wie der Name schon sagt, die absolute Lohnuntergrenze darstellt. Ein Leben frei von Armut lässt sich damit auf Dauer wohl kaum organisieren. Jedenfalls nicht im Alter: Selbst zwölf Euro pro Stunde wären dafür zu wenig. Schon vor zwei Jahren hatten Wissenschaftler ausgerechnet, dass ein Vollzeitarbeiter damals 12,63 Euro pro Stunde hätte verdienen müssen, um auf eine Rente über Grundsicherungsniveau zu kommen. Der Mindestlohn hat zweifellos die schlimmsten Auswirkungen des Lohndumpings beseitigt. Aber ein auskömmliches Einkommen bedeutet er deshalb nicht. Der Schlüssel dafür liegt in der Stärkung von Tarifverträgen bis hin zur Vergabe öffentlicher Aufträge nur an Unternehmen, die sich strikt daran halten.