Meinen die das ernst? Die fünf jungen Männer, die da auf der Bühne des Mannheimer Capitols stehen? Nicht ganz. Meistens zwar, aber nicht immer. Und sie stehen auch nicht, sie tanzen. In Bewegungsmustern der 1970er Jahre, mitsamt neckischem Hüftschwung. Und es macht verdammt Spaß, ihnen dabei zuzusehen. Das Lied heißt „Viel zu lang’ nicht mehr getanzt“, die Band Anders, und es sind diese Minuten, die das Publikum (leider nur 160 Besucher) aus der Reserve locken.
Die A-cappella-Band erschafft rasch und scheinbar mühelos stets neue Stimmungen. In diesem Fall ist es die Illusion einer Funkdisko: Melodien erzeugen die Sänger durch Vokalisen, den Grundrhythmus durch Percussiongeräusche, die sie mit dem Mund erzeugen.
Anders wurden in Heidelberg gegründet, vor zwölf Jahren, damals waren die Bandmitglieder Achtklässler. „Wer hat uns schon einmal live gesehen?“, fragt Johannes Berning, und rund drei Viertel seiner Zuhörer melden sich. Viele Gäste scheint er persönlich zu kennen – und das, obwohl die Band ihren Lebensmittelpunkt mittlerweile zum Studieren nach Freiburg verlagert hat.
Die Sänger jonglieren mit Versatzstücken unterschiedlicher Musikstile, mischen Reggae und Dancehall („Neuer Tag“) bei, eher zähflüssigen Rap („Vergessen“) und versehen Jazzharmonien mit archaischen Momenten („Der letzte Zug“). Ein Popsong mutiert unvermittelt zu einem arabischen Gebetslied („Sie tanzt“). Den Titel „Jour de Chance“ – eher bekannt in Sashas englischer Version „Lucky Day“ – präsentiert Tenor Moritz Nautscher in geschliffenem Französisch.
Tempo ist Trumpf
Anders erhöhen die Schlagzahl der eh schon temporeichen Harmoniewechsel auf spielerische Art: Sie imitieren ein Fernsehgerät beim ständigen Umschalten durch die Kanäle. In diesem Medley folgt auf „Pretty Woman“ das Jingle der „Tagesschau“ und das Abspannlied vom „Sandmännchen“. Plötzlich erklingt das gehässige Lachen aus einem Horrorfilm, „My Heart Will Go On“, dann Jodeln, eine Müsliwerbung, der Text einer Tierdokumentation. Ein Fußballkommentator verfolgt Guido Burgstallers Weg zum Elfmeterpunkt. Da hält das Publikum nichts mehr auf den Sitzen.
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