Was muss das für eine Zeit gewesen sein! "Die neuen Künstler", schrieb der französische Dichter Guillaume Apollinaire (1880-1918), "suchen nach einer idealen Schönheit, die nicht mehr nur stolzer Ausdruck der Menschheit sein wird, sondern Ausdruck des ganzen Universums, in dem Ausmaß, wie es sich im Licht vermenschlicht." 1912 besuchte Apollinaire den Maler Robert Delaunay, der wie er in Paris lebte, und ließ sich von dessen Fensterbildern begeistern. Delaunay hatte sie ganz auf Farbe und Licht ausgerichtet.
Ab morgen kann man im Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen eines der "Fenêtres" bewundern. Unter dem Titel der Schau "Stimme des Lichts" haben sich noch mehr als 60 weitere Werke der Klassischen Moderne hinzugesellt. Nicht alle sind von Delaunay. Doch "angeregt", wie Kulturdezernentin Cornelia Reifenberg betont, "durch das Werk 'Formes circulaires, Soleil No. 1' von Robert Delaunay im Besitz des Museums, das zu den am häufigsten für Leihgaben angefragten Werken der Sammlung gehört, widmet sich die Ausstellung nun den Anfängen der Abstraktion."
Naturgesetze als Inspiration
Delaunay (1885-1941) befasste sich eingehend mit der Theorie vom Simultankontrast der Farben, wie sie der Chemiker Michel-Eugène Chevreul (1786-1889) erforscht hatte. Und wie vor mehr als hundert Jahren können wir in seinen Gemälden entdecken, dass sich die Komplementärfarben Blau-Orange, Grün-Rot oder Gelb-Violett durch Gegenüberstellung nicht nur vortrefflich ergänzen, sondern von ungeheurer Strahlkraft sind.
Die Farben des Prismas bestimmen Delaunays Bildordnung und mit ihnen erreicht er einen immer höher werdenden Grad der Abstraktion. Der Kreis, der in Delaunays Bildern dominant ist, ist dabei nicht nur Symbol göttlicher Kraft, sondern zeigt Zusammensetzung des Sonnenlichts, das der Künstler nach physikalischen Gesetzen auseinanderdividiert, um es in kristallin wirkenden Farbfeldern neu zu ordnen.
Ursprünge in Frankreich
Im Oktober 1912 hielt Apollinaire in der Pariser Galerie La Boétie einen Vortrag. Hatte er einst dem ersten kubistischen Gemälde, "Demoiselles d' Avignon" (1907) von Pablo Picasso, noch kritisch gegenüber gestanden (das Georges Braque schließlich zum Kubisten machte), wertete er die Kunstrichtung nun auf. Er sprach von der "Vierteilung des Kubismus", wie Pascal Rousseau im Katalogtext schreibt. "Apollinaire unterschied bei dieser Gelegenheit vier unterschiedliche Tendenzen in der neuen Malerei in Paris, darunter ist auch der 'orphische Kubismus', wozu er Delaunay, Léger, Duchamp und Picabia subsumierte." Der neue Begriff war geboren.
Der vielsprachige Apollinaire, der auch einer der bekanntesten Lyriker Frankreichs war, hatte bereits 1908 das Gedicht "Bestiarium oder das Gefolge von Orpheus" geschrieben. Über den Sänger und Musiker, der in die mythologische Unterwelt hineinblickte und doch wieder ans Licht emporstieg. Das Licht gelte als schöpferische Kraft, und das Wort bringe Licht, so die poetische Andeutung Apollinaires, ein Licht, das (wie in der Schöpfungsgeschichte) etwas hervorruft.
In vier Räumen des Museums stehen sich August Macke, Marthe Donas, Wassily Kandinsky oder Frantiek Kupka gegenüber. Auch Fernand Léger oder Marc Chagall schaffen wunderbare farbige Kompositionen. Und während manche Formen ein Eigenleben beginnen, andere ein buntes musikalisches Feuerwerk hinterlassen, setzt Sonja Delaunay mit Farb- und Buntstiften poetische Lichtstudien aufs Papier. Und Giacomo Balla gelingt es vorzüglich, mit zartfarbigen gleichschenkligen Dreiecken auf das Höhere, Geistige hinzuweisen.
Zu sehen gibt es viel in der Schau. Auch die Zeitgeschichte bleibt nicht außen vor. Paris: Die Weltausstellung ist vorüber, aber der Eiffelturm bleibt. Die Boulevards werden beleuchtet. Für Bürger ist das "Licht", wie man den Strom im Volksmund bezeichnet, allerdings noch zu teuer. Aber im öffentlichen Raum ist die Glühlampe angekommen. Die Nacht wird zum Tag, die Geschwindigkeit nimmt zu. Autos fahren, Flugzeuge brausen durch die Luft.
Robert Delaunay zeigt all dies in seinem Werk "L'Équipe de Cardiff". "Das ist Simultaneität" (Gleichzeitigkeit) verkündet Apollinaire. Der Italiener Umberto Boccioni spricht von Plagiat und beansprucht den Begriff für den Futurismus. Und so kommt es zum Streit. Apollinaire und Delaunay distanzieren sich voneinander. Aber letztendlich wird es der Erste Weltkrieg sein, der die "Stimme des Lichts" schmerzhaft zum Erlöschen bringt.
Bilder zum Thema Orphismus
Die Ausstellung im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum ist bis 2. April 2018 zu sehen. Eröffnung: heute, 18 Uhr. Di, Mi, Fr. 11-18 Uhr, Do, 11-20 Uhr, Sa, So, Feiertage 10-18 Uhr.
Eintritt 10 Euro, Führungen Sa, So und Feiertag, 15-16 Uhr. Zusätzlich 3 Euro. Der Katalog kostet während der Ausstellung 39,90 Euro. Hintergründe erläutert eine kostenlose Ausstellungszeitung.
Orphismus bezeichnet keinen künstlerischen Stil. Der Dichter Guillaume Apollinaire gab 1912 der generellen Tendenz zur Abstraktion einen Namen. Unter Orphismus band er auch Werke des Kubismus, Futurismus und Expressionismus ein.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/ludwigshafen_artikel,-ludwigshafen-farben-voller-schoepfungskraft-_arid,1157794.html