Es geht um zwei Ereignisse, die 38 Jahre auseinander liegen. Der Mann, der beide verbindet, heißt Taysir Abu Sneineh. Am 2. Mai 1980 war er beteiligt an einem Terroranschlag auf jüdische Siedler in Hebron, im Kugelhagel und in den Granatsplittern palästinensischer Terroristen starben sechs Menschen, 20 wurden verletzt. 38 Jahre danach ist Abu Sneineh Bürgermeister der Stadt, in der das Attentat damals verübt wurde. Er wird am 19. Juli von Oberbürgermeister Peter Kurz im Rathaus empfangen, die Flagge seines Landes weht im heißen Sommerwind, die beiden Stadtoberhäupter unterzeichnen einen Vertrag. Er soll Unternehmensgründungen in der Stadt im Westjordanland fördern (wir berichteten). Man reicht sich die Hand – eine diplomatische Geste, die in der jüdischen Gemeinschaft in Mannheim für Kopfschütteln, für Unverständnis und bisweilen sogar für Entsetzen sorgt.
Deutschlandweite Diskussion
Alisa Erlich spricht offen über ihre Empfindungen. Die Witwe des früheren Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Manfred Erlich, war „wirklich entsetzt“: „Wie kann man einem solchen Mann die Hand schütteln?“ Sneineh wurde für seine Beteiligung an dem Attentat in Kirjat Arba, einem Vorort von Hebron, in Israel zu lebenslanger Haft verurteilt. Das war 1982, drei Jahre später kam er im Rahmen eines Gefangenenaustauschs frei. Der Mathematiklehrer machte in der Fatah, der größten Partei in den Palästinensischen Autonomiegebieten, politisch Karriere, die er im Mai 2017 mit der Wahl zum Bürgermeister von Hebron krönte.
„Auch andere Gemeindemitglieder waren wie vor den Kopf gestoßen, dieser Besuch wurde in jüdischen Newslettern im Internet sogar deutschlandweit diskutiert“, berichtet Erlich. Gegen das Hilfsprojekt habe sie nichts einzuwenden: „Aber man muss unterscheiden zwischen der Sache und der Person, der man die diplomatischen Ehren erweist.“
Empörung, dieses Wort umschreibt auch die Stimmung innerhalb der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Rhein-Neckar (DIG), der Verein hat inzwischen reagiert und eine Stellungnahme des Vorstands verfasst: „Wir halten die jüngste Einladung des Hebroner Bürgermeisters nach Mannheim mit allen diplomatischen Ehren . . . für einen Fehler.“ Die Gesellschaft bezieht sich hier wohl auf ein im Internet kursierendes Video, das Abu Sneineh inmitten einer Schar meist jugendlicher Zuhörer zeigt, wie er die damaligen Vorbereitungen des Attentats und den Angriff selbst schildert.
Rita Althausen, die stellvertretende Vorsitzende, sucht nun zusammen mit dem Vorstand das Gespräch mit Peter Kurz: „Der OB tritt stets für die Jüdische Gemeinde ein, er findet bei Gedenkveranstaltungen die passenden Worte. Daher kann das so nicht stehen bleiben.“ Auch Majid Koshlessan, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, setzt auf den Dialog: „Wir haben bereits einen Termin.“ Diesen Dialog soll es in Kürze geben, wie Stadtsprecher Ralf Walther versichert. Die Stadt wusste im Vorfeld des Treffens von der persönlichen Vergangenheit Sneinehs. „Bürgermeister Abu Sneineh vertritt die offizielle politische Linie der Fatah. Die aus verschiedenen Quellen bestätigte politische Position war für uns die Grundlage, die Zusammenarbeit mit Hebron fortzusetzen.“
Taysir Abu Sneineh ließ auf Anfrage des „MM“ von seiner Sprecherin Jumana Dweik versichern, er bekenne sich zum Friedensprozess als einzige Möglichkeit für die Palästinenser, in Frieden und Freiheit in einem eigenen Staat zu leben: „Diese Dinge liegen fast 40 Jahre zurück, damals gab es keine Vereinbarungen zwischen uns und Israel und es gab Tote auf beiden Seiten“. Man setze nun große Hoffnungen auf die Zusammenarbeit mit Mannheim, aber auch mit Haifa.
Kurz bedauert Irritationen
Die Stadtspitze räumt eigene Fehler ein – OB Peter Kurz: „Die jetzt entstandenen Irritationen bedauern wir zutiefst. Unsere Betrachtung dieses Termins erfolgte „formal-diplomatisch“, wonach man sich die Vertreter der anderen Vertragsseite nicht aussucht. Diese Betrachtung vermittelt sich einem Teil unserer Partner nicht und war deshalb erkennbar nicht ausreichend. Hinzu kommen neue Erkenntnisse, die uns zum Zeitpunkt des Termins nicht bekannt waren“, sagt der OB und meint damit das ominöse Video. Auch in der israelischen Partnerstadt Haifa habe es Irritationen gegeben, man habe sich in den letzten Tagen aber intensiv ausgetauscht und diese ausgeräumt.
Nicht alle in der jüdischen Gemeinschaft reagieren indes verstört auf den Besuch, Micha Friedmann etwa: „Ich betrachte die Sache als unglücklich, aber ich bin entspannt, weil ich weiß, wie der Oberbürgermeister zu uns steht.“
Haifa – Mannheim – Hebron: Beziehungen im Dreieck
- Bereits seit 2013 unterhält Mannheim eine Dreiecks-Partnerschaft mit dem israelischen Haifa und dem palästinensischen Hebron im Westjordanland. Die Anregung dazu kam aus Haifa.
- 2016 startete ein internationales kommunales Kooperationsprojekt, bei dem das Abwassermanagement in Hebron durch einen Wissenstransfer aus Mannheim verbessert werden soll. Das Projekt wird durch den Bund mit 50 000 Euro unterstützt.
- Im Juli unterzeichneten beide Seiten einen Vertrag für eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Startup-Förderung. Auch hier unterstützt der Bund mit 210 000 Euro.
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