Pandemie - Soziale Distanz belastet Menschen nach Tod eines Angehörigen / Leiterinnen eines Hospizdienstes berichten von Situation

„Wir rechnen ganz klar mit schweren Trauerverläufen“

Von 
Heike Dürr
Lesedauer: 
Trauer unter Pandemiebedingungen: Ein Hinweisschild für den Umgang bei Beerdigungen steht in einem Bestattungsinstitut vor mehreren Särgen. © dpa

Rhein-Neckar. Durch die Corona-Pandemie ist auch in der Region die Trauerarbeit weitgehend zum Erliegen gekommen. Bei Betroffenen könne es durch die gebotene soziale Distanz nach schmerzhaften Abschieden zu ernstzunehmenden Spätfolgen kommen, sagen Expertinnen vor Ort. Denn der Verlauf des Trauerprozesses hängt auch von der Art des Abschiedes sowie einer persönlichen Trauerbegleitung ab. Der Bundesverband Trauerbegleitung e.V. fordert daher in einer bundesweiten Petition: „Trauerbegleitung und Trauerberatung sind in der Pandemiesituation systemrelevant und müssen offiziell anerkannt und benannt werden.“ Ziel ist es, professionelle Trauerbegleitung auch im Lockdown zu ermöglichen. Mindestens 50 000 Unterschriften will der Verband sammeln, bis zum Wochenende konnten mehr als 2500 Unterstützer gewonnen werden.

Alle Bereiche des Lebens betroffen

Adressaten sind die Politik, aber auch Vertreter der Krankenkassen und Glaubensgemeinschaften. Die Theologin und Pastoralpsychologin Marianne Bevier ist Geschäftsführende Vorständin des Verbandes. Hauptberuflich leistet sie in Mannheim als Supervisorin im psychosozialen Bereich und in der Telefonseelsorge selbst Trauerarbeit. Sie erkennt deutliche Unterschiede zum ersten Lockdown: „Damals gab es viele Ideen und neue Formate. Doch nun reicht die Kraft nicht mehr.“ Sie beobachtet einen Verlust der Trauerkultur. „Statt Trauerfeiern gibt es oft nur eine Beerdigung am Grab.“ Auch die Unterstützung durch Familie, Freunde oder Nachbarn fällt weg. „Das macht diese Ausnahmesituation noch schwerer, denn in der Trauer ist man aufeinander angewiesen.“

Wichtig ist dem Verband zu vermitteln, dass Trauer nahezu alle Bereiche des Lebens betreffen kann: Man kann um den verlorenen Arbeitsplatz, verpasste Erlebnisse oder verlorene Lebenschancen durch schwere Krankheiten trauern. Essentiell für alle Trauernde sei das Durchleben aller Trauerphasen. Das sei ohne Kontakte nur schwer möglich: „Derzeit hört man viele Durchhalteparolen. Man muss aber auch über Verluste klagen dürfen.“ Ist das nicht möglich oder können Abschiede nicht stattfinden, drohen den Betroffenen dramatische Folgen. Sie reichen von Scham und Schuldgefühlen über Ängste bis hin zu Suizidgedanken. „Wir rechnen hier ganz klar mit schweren Trauerverläufen“, so Bevier.

Das können auch Ute Ritzhaupt und Silke Kübler, Koordinatorinnen und Leiterinnen des ökumenischen Hospizdienstes Südliche Bergstraße, bestätigen. Beide sind ausgebildete Hospiz- und Palliative Care-Fachkräfte und Trauerbegleiterinnen. „Wir begleiten Betroffene und ihre Familien im Sterbeprozess aber auch nach dem Tod eines nahen Angehörigen.“ Sie berichten von Bewohnern in Pflegeeinrichtungen, die enorm unter den Besuchsverboten leiden und jeden Lebensmut verlieren. Und von Angehörigen, die den vielleicht letzten Geburtstag ihrer Liebsten nicht mit ihnen feiern können. „Das alles löst große Emotionen aus, auch bei der Pflege.“ In engem Austausch mit den von ihnen betreuten Pflegeeinrichtungen versuchen sie, diese Folgen der Isolation zu mildern. „Die Regelungen werden von Haus zu Haus unterschiedlich umgesetzt, aber alle unterstützen uns in unserem Bestreben, möglichst oft vor Ort sein zu können.“

Besonders bedauern Ritzhaupt und Kübler die Schließung ihres Trauercafés in Wiesloch während des Lockdowns. Dort können sich sonst Hinterbliebene auch noch Jahre nach dem Tod eines Angehörigen austauschen. Das sei wichtig, denn oft fehle dem Umfeld das Verständnis für die anhaltende Trauer. „Im Trauercafé muss sich niemand für seine Gefühle rechtfertigen. Gleichgesinnte wissen, was es bedeutet, keine Kraft zum Aufstehen zu haben oder die Fassade aufrecht zu erhalten.“ Die beiden bieten als Ersatz Einzelgespräche mit Abstand und Maske oder Spaziergänge an und schicken den Trauernden regelmäßig Kärtchen. Und sie planen eine monatliche Veranstaltung mit Ritualen aus dem Trauercafé.

Die Petition des Bundesverbandes Trauerbegleitung unterstützen sie mit der Hoffnung auf eine klare gesetzliche Regelung zum Einlass von Trauerbegleitern in Pflegeeinrichtungen. „Auch bei den Impfungen wurden wir bisher nicht berücksichtigt“. Was ihnen besonders wichtig ist: „Wir sehen es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, wie man mit Menschen umgeht – egal, ob es Kinder, Trauernde oder Menschen in Pflegeeinrichtungen sind.“

Rund 400 Trauerbegleiter

  • Den Bundesverband Trauerbegleitung gibt es seit 2010. Sitz ist in Mannheim, die Geschäftsstelle in Klingenmünster.
  • Seit 2016 ist die Mannheimerin Marianne Bevier Geschäftsführender Vorstand. Gegründet wurde der Verband zur standardisierten Ausbildung von Trauerbegleitern.
  • Inzwischen vertritt er die Interessen von etwa 400 Trauerbegleiter bundesweit und sieht sich als Interessenvertretung und Sprachrohr für trauernde Menschen.
  • Marianne Bevier verfasste mit ihrem Mann Christoph das Buch „Selig sind die Trauernden – Trauer in der Seelsorge“ aus der Edition Leidfaden. Das Buch kostet 17 Euro, ISBN-13: 978-3525406908.

Mehr Infos unter: www.bv-trauerbegleitung.de.

Freie Autorin Schwerpunkt: Portraits

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen