Kita-Schließungen - Expertinnen erklären, warum es für kleine Kinder und ihre Familien mit den Beschränkungen problematisch wird

„Eltern brauchen Perspektive“

Von 
Bettina Eschbacher
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Leere Kitas, gestresste Eltern: Viele Familien hoffen auf Lockerungen und bessere Betreuung auch von kleinen Kindern. © dpa

Mannheim. Während die Schulen vorsichtig öffnen, bleiben die Kitas wegen der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit geschlossen. Doch die Kritik an der Dauer-Schließung wird lauter. Wir erklären, warum:

Brauchen kleine Kinder überhaupt den Kita-Besuch?

„Unbedingt“, sagt Sabina Pauen, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Heidelberg. Kinder könnten zwar eine Weile ohne Gleichaltrige auskommen, so Pauen, „aber wir kommen jetzt an die zeitliche Grenze, wo es schwierig wird“. Und zwei oder drei Monate seien in der Empfindung der Kinder eine viel längere Zeitspanne als für Erwachsene – eine gefühlte Ewigkeit also. Zumal jetzt in Zeiten von Corona die Eltern sowieso extrem gestresst oder überfordert seien. Das sei für die Kinder sehr belastend, vor allem wenn sie nicht zum Ausgleich mit Gleichaltrigen zusammensein könnten.

Was bieten Kitas, was Familien nicht können?

„Kinder finden dort ein richtiges Bildungsangebot und eine wichtige Lernumgebung“, sagt Pauen. Das Angebot gehe weit über das reine Spielen hinaus. Es gebe im Kleinkind-alter nur bestimmte Zeitfenster zum Erlernen – und die würden jetzt verpasst. Besonders dramatisch sei der fehlende Input bei Kindern aus schwierigen Elternhäusern oder mit Sprachdefiziten. Außerdem entspreche es der natürlichen Entwicklung, mit anderen Kindern zusammenkommen. „Kinder schauen ganz viel voneinander ab und lernen das Miteinander in der Gruppe“, erklärt Pauen. Und sie müssten sich unter Gleichaltrigen bewähren lernen, das könnten auch engagierte Eltern nicht ersetzen.

Und was bedeutet die Dauer-Schließung für Eltern, vor allem für berufstätige?

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Michèle Tertilt, Professorin an der Universität Mannheim, hat bereits eine Studie zu den Folgen der Corona-Krise für Familien und ihren Arbeitsplatz abgeschlossen. Sie sieht in den verlängerten Kita-Schließungen ein großes Problem für alle berufstätigen Eltern und für Mütter ganz besonders. „In unserer Gesellschaft übernehmen nun mal Mütter – auch wenn sie Vollzeit arbeiten – einen Großteil der Kinderbetreuung“, so Tertilt. „Daher sind sie aktuell ganz besonders belastet.“ Ähnlich sieht das der Deutsche Frauenrat und spricht sogar „von einer Rolle rückwärts in die Fünfzigerjahre“.

Wie könnte der Kita-Besuch mit Corona-Vorgaben aussehen?

Kleine Kinder seien nicht in der Lage, sich zum Beispiel an Abstandsregeln zu halten, räumt Pauen ein. Die Wissenschaft wisse aber zu wenig über die besonderen Übertragungswege von Kindern bei Corona, bedauert sie. „Der Blick auf die Kinder ist bisher zu kurz gekommen.“ Auch Tertilt mahnt: „Wir brauchen dazu bessere Daten und mehr Forschung. Inwieweit sind Kitas wirklich ,Virenschleudern’? Darüber wissen wir bisher einfach zu wenig.“ Sie setzt auf die Erfahrungen von Ländern wie Schweden und Dänemark, die ihre Kita noch oder wieder geöffnet haben. „Ob sich dadurch die Ansteckungen wieder erhöhen, sollten wir ja bald wissen“, betont Wissenschaftlerin Tertilt.

Werden die Nöte und Bedürfnisse von Familien in der Corona-Krise ausreichend berücksichtigt?

Nein, sagt die Ökonomin Tertilt. „Natürlich ist es ein schwieriges Thema, aber Eltern brauchen eine Perspektive.“ Über die letzten Wochen hätten viele arbeitende Eltern im Homeoffice improvisiert, Überstunden abgebaut oder Urlaub genommen. „Das werden die meisten Eltern nicht bis zu den Sommerferien so weiterführen können“, sagt Tertilt.

Viele Eltern, insbesondere Mütter, reduzierten nun ihre Arbeitszeit, manche hätten sich schon ganz freistellen lassen. Es brauche nun ein Konzept aus der Politik. „Ist es erwünscht, dass diese Eltern bis auf weiteres nicht mehr arbeiten? Dazu habe ich noch nicht viel gehört“, kritisiert Tertilt.

Was tun, wenn die Kitas bis zum Sommer geschlossen bleiben?

„Dann brauchen wir andere Lösungen“, sagt die Ökonomin Tertilt. Zusätzliche Möglichkeiten von Elternzeit oder -geld nennt sie als Beispiel. „Kinder im Kita-Alter nebenher während des Arbeitens im Homeoffice zu betreuen ist jedenfalls keine Lösung.“ Entwicklungspsychologin Pauen hält eine Übergangsregelung für sinnvoll: Sie schlägt vor, das allgemeine Kontaktverbot explizit für junge Familien zu lockern.

Eltern mit kleinen Kindern sollten sich mit ein oder zwei festgelegten weiteren Familien treffen können. „Das würde das Infektionsrisiko gering halten, aber Kindern den Austausch mit anderen ermöglichen“, so Pauen.

BASF für langsame Öffnung

Die Ludwigshafener BASF ist als Arbeitgeber von Eltern mit kleinen Kindern und Betreiber einer betriebseigenen Kindertagesstätte doppelt von den Kita-Schließungen betroffen. Vor der Corona-Krise wurden 270 Kinder zwischen sechs Monaten und drei Jahren bei LuKids betreut. Aktuell werden Eltern nach Angaben eines BASF-Sprechers durch eine Notfallbetreuung unterstützt. Betreut werden Kinder, deren Eltern in der BASF aber auch extern in systemrelevanten Bereichen tätig sind. Außerdem gewährt das Unternehmen Mitarbeitern bis zu zehn Tage bezahlte Freistellung für die Kinderbetreuung, wenn zum Beispiel Homeoffice nicht möglich ist und die Zeitguthaben erschöpft sind. Über interne Online-Plattformen können sich Eltern untereinander vernetzen und unterstützen.

BASF befürwortet dem Sprecher zufolge „eine langsame und systematische Öffnung der Kita, bei der wir auch die erforderlichen Sicherheits- und Hygienemaßnahmen gewährleisten können“. be

Redaktion Bettina Eschbacher ist Teamleiterin Wirtschaft.

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