Kunst an der Promenade

Zum vierten Mal findet in Bingen die Skulpturen-Triennale statt. Das Thema in diesem Jahr könnte kaum brisanter und aktueller sein: "Nah und Fern".

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Eine der Skulpturen am Rheinkilometer 529: Nadira Husains Werk "Und ein anderer Vogel näherte sich" ist Teil der Ausstellung "Nah und Fern".

© Köbler-Stählin

Der "Mäuseturm" bei Bingen steht wie ein Fels in der Brandung. Doch hier ist nicht irgendein Ort. Um die Rheininsel, die unübersehbar hinter der Nahemündung liegt, ranken sich allerlei Mythen. Doch die Felsriffe, an denen sich das Wasser lange aufbegehren konnte, bieten den Schiffern keinen Grund mehr zur Sorge. Schließlich wurde das "Binger Loch" 1974 ausgebaut.

Davor war die Fahrt im einst engen Wasserweg nur mit erfahrenen Lotsen möglich. Heute jedoch bewegen sich viele Ausflugsdampfer auf dem mächtigen Strom. Denn wie in keiner anderen deutschen Landschaft reihen sich auf dieser Strecke die Burgen aneinander, an deren Füßen malerische Städtchen liegen. Kein Zweifel, der breite bewegte Fluss, der Blick auf die gegenüberliegenden Weinberge, auf denen das Niederwalddenkmal thront, ist ein malerisches Fleckchen.

Kuno Pieroth ist in dieser viel besungenen Landschaft verwurzelt. Rund um Bingen befindet sich das Weingut Pieroth, ein Familienunternehmen, das sich zum weltweit größten Wein-Direktvertrieb entwickelt hat. Bis zu seinem Ruhestand kümmerte er sich in der Familien AG um die Kunden in aller Welt. Es ist noch nicht lange her, dass der fast 80-Jährige von einer Australienreise zurückkam. Aber Zuhause, sagt er, sei eben hier.

Direkt am Rheinufer besitzt er ein Apartment, und von dort aus kann er die Promenade sehen, die sich im Zuge der Landesgartenschau 2008 zu einem üppig blühenden Garten verwandelt hat. Doch etwas, meinte seine Frau Gerda damals, fehle: Die Kunst. Was dann geschah, war ein Segen für die Stadt Bingen. Das Ehepaar gründete eine Stiftung und steckt seitdem viel Energie und nicht weniger Geld in diese Idee.

Ein Ehepaar als "Anstifter"

Gerda und Kuno Pieroth sind nun schon zum vierten Mal "Anstifter" der Skulpturen-Triennale. "Nah und Fern" nennt sich die aktuelle Schau, ein Titel, den Lutz Driever und André Odier schon früh vorgeschlagen hatten. 2011 gingen die Kuratoren auf Künstlersuche. Und so, wie sie sich in allen Fragen klug und feinsinnig präsentieren, ließen sie die Binger Bürger nicht außer Acht. "Wollen sie einen Naturpark haben, oder wollen sie sich hier reiben?", fragten sie. Dass sie abwägten und sich dann für letzteres entschieden ist gut und vor allen Dingen vorausschauend. Denn wann war das Thema "Nah und Fern" brisanter als in diesen Tagen?

Ob und wie sich die Kunstwerke erschließen lassen, ist dagegen die andere Frage. "Dafür gibt es die jungen Kunstvermittler", freut sich Kuno Pieroth und der Kurator André Odier berichtet aus seinen Erfahrungen. Denn er ist es, der in Schulklassen geht und mit den Schülern über Kunst spricht. "Mathematik braucht ein Ergebnis. Reden über Kunst ist frei", so das Credo von Odier.

Wer möchte, kann mit den Scouts gleich hinter der Bingen-Rüdesheimer Autofähre ins Gespräch kommen. Vielleicht über Timm Ulrichs offenes Haus, das keinen intimen Raum mehr hat, weil dieser auf Medienplattformen ausgelagert wird, oder den 250 x 250 cm großen Kissen von Katinka Pilscheur. Teilen oder nicht, ist hier die Frage.

"Minimale Berührungen verbinden Körper und schaffen es, Nähe und Vertrautheit herzustellen", erläutert die Kunsthistorikerin Britta von Campenhausen. Im Katalogtext kommen damit die kleinen Gesten zu Wort, mit denen Hannes Helmke seine Bronzefiguren sprechen lässt. Und der überdimensionale Motorradhelm von Achim Riethmann? Ob ein verdecktes Gesicht Schutz bietet oder in die Isolation drängt, wird spontan zum Nachdenken anregen.

Doch nicht jedes Kunstwerk erschließt sich so leicht. Obwohl Jay Gards abstrahierte Hinweistafeln an die sprachübergreifenden Piktogramme angelehnt sind, erscheinen sie wie Fremde in vertrauter Umgebung. Und Zäune? Mit ihnen beschäftigt sich das Duo Awst & Walther als Orte der Abgrenzung und Überwindung. Eine beredte Form hat auch Christian Achenbach gefunden. Seine Skulptur aus einzelnen, farbigen Ringen ist in Bewegung und fragt danach, wer und wo wir sind.

Der Mensch und sein Verhalten

Der Mensch und sein gesellschaftliches Verhalten sind wichtige Themen, die in dieser Schau angesprochen werden. Auch in den Arbeiten von Lois Weinberger, Gregor Hildebrandt und Olaf Metzel. Heimat, das wissen wir alle, trägt man ein Leben lang im Herzen, auch wenn in fremdem Boden neue Wurzeln schlagen. Nah sein, im persönlichen Erleben, im Rückblick auf die Jugend oder der eigenen Sprachkultur, hat immer eine besondere Macht. Stefan Strumbel, Adrian Lohmüller, Nadira Husain und Alexander Endrullat sehen noch weitere Aspekte. Ob wir unsere christliche Religion verleugnen, uns andere Kulturgüter als die eigenen suggerieren lassen oder gesetzte Ziele aufgeben, verschafft ebenso wenig soziale Nähe, wie die elektronische Kommunikation.

Aber zum Glück können die Besucher ganz persönlichen Kontakt pflegen. Denn an vielen Wochenenden sind die "Kunstvermittler" unterwegs. "Frag mich was" steht auf dem roten Poloshirt, das sie tragen. Den Stifter macht ihr Engagement stolz. Auch bei Yudi Noors Installation werden sie vor Ort sein. Er hat Bäume mit Stoffbahnen umwickelt. Sie hübsch zu kleiden, drückt in seiner indonesischen Heimat Ehrfurcht und Dankbarkeit aus.

Jährlich kommen rund 500 000 Besucher nach Bingen, wo das Obere Mittelrheintal beginnt, das zum UNESCO Welterbe zählt. Da ist eine Outdoor-Ausstellung wie ein Bonbon, das in diesem Jahr bis in die Stadt getragen wird. Zu Füßen der Burg Klopp warten Christel Lechners liebenswerte "Alltagsmenschen". Sophia Pompéry stellt ungleiche Positionen zur Debatte. Wie die gefalteten Boote der Künstlerin Rebecca Raue, die nichts mit einem Traumschiff zu tun haben.

Der Spaziergang ist damit fast zu Ende. Entlang der Nahe, die kräftig in den Rhein mündet, gelangt man wieder zur Promenade. Ornamentale Anordnungen von Bikje van der Soest sind zu Füßen des Museums der Mystikerin Hildegard von Bingen platziert. Dort nimmt Elvira Bachs "Die andere Eva" einen nicht minder bedeutsamen Platz ein. Und von hier aus kann man den Mäuseturm sehen. Der nah ist und doch fern.

Tipps

  • „Nah und Fern – Skulpturen am Rheinkilometer 529“ ist eine Ausstellung der Gerda und Kuno Pieroth Stiftung.
  • Mit dabei ist der in Heidelberg geborene Bildhauer Hannes Helmke, der drei überlebensgroße Bronzefiguren zeigt.
  • Alle Werke sind an der Binger Rheinpromenade und in der Innenstadt bis zum 8. Oktober 2017 zu sehen.
  • Junge Kunstvermittler: Schüler des Kunst-Leistungskurses des Stefan-George-Gymnasium, Bingen, und des Sebastian Münster-Gymnasium, Ingelheim, stehen an Wochenenden und Feiertagen zu Fragen über Kunst und Künstler zur Verfügung – erkennbar am roten Poloshirt mit der Aufschrift „Frag mich was“.

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