Heidelberg. Die Heidelberger Leben macht auf ihrem Weg zur Abwicklungs-Firma von Versicherungsbeständen Fortschritte. Das Unternehmen übernimmt von Skandia Deutschland deren Lebensversicherungsgeschäft in Deutschland und Österreich. Für 220 Millionen Euro plus Zinsen erwirbt die Heidelberger Leben mehr als 400 000 Policen mit einem Vermögen von 4,9 Milliarden Euro.
Die Transaktion sorgt in der gesamten Versicherungsbranche für erhöhte Aufmerksamkeit: Außer Skandia beenden noch weitere Gesellschaften ihr Neugeschäft, weil sie wegen der niedrigen Kapitalmarktzinsen und verschärften Regulierungsvorschriften unter Druck stehen. Laut der Finanzaufsichtsbehörde BaFin wollen sieben der gut 90 deutschen Lebensversicherer ihr Neugeschäft ganz oder zum größten Teil einstellen. Weder die Mannheimer Versicherung als Teil des Continentale-Verbunds noch die Inter Versicherung zählen nach eigenen Angaben dazu.
"Problematische Garantien"
"Vor allem die höheren Kapitalanforderungen der Solvency-II-Vorschriften ab 2016 machen das klassische Geschäft mit Garantien für die Versicherer problematisch", sagt Monika Lier vom Branchenmagazin "Versicherungsjournal". So hätten zum Beispiel Gesellschaften mit Solvency-II zu kämpfen, die in den vergangenen Jahren Abschreibungen auf Staatsanleihen südeuropäischer Schuldenstaaten oder schwächelnde Immobilienportfolios vornehmen mussten.
Gleichzeitig erhalten die Gesellschaften für die angelegten Kundengelder am Kapitalmarkt kaum Zinsen. Die Lebensversicherer mussten für ihre Kunden 2013 im Schnitt allerdings 3,6 Prozent laufende Verzinsung erwirtschaften - eine immer größere Herausforderung. In dieser Situation bietet der sogenannte Run-Off einen Ausweg. Das Unternehmen bemüht sich, das Lebensversicherungsgeschäft möglichst ertragreich - oder wenigstens verlustarm - zu beenden.
Neben dem Stopp des Neugeschäfts ist der Verkauf von Versicherungsbeständen eine weitere Variante des Run-Offs. Als Käufer bietet sich jetzt unter anderem die Heidelberger Leben an, die Gesellschaft sitzt selbst auf einem Bestand von 600 000 Verträgen. Seit gestern ist die Übernahme des Unternehmens durch die Hannover Rück und den Finanzinvestor Cinven endgültig unter Dach und Fach. Der bisherige Eigner, der britische Finanzkonzern Lloyds, trennt sich von der Deutschland-Tochter, weil das Neugeschäft lahmte. Bis 2005 gehörte die Gesellschaft als MLP Leben zum gleichnamigen Wieslocher Finanzdienstleister.
Hannover Rück und Cinven betreiben die Abwicklungen von Verträgen - die in der Branche auch "tote" Bestände heißen - bereits in Großbritannien. Im Ausland ist dieses Geschäft seit langem gang und gäbe, Heidelberger Leben ist in Deutschland damit nach eigenen Angaben Pionier. "Gesellschaften, die Bestände aufkaufen, hoffen, Kosten einzusparen- bei Provisionen, in der Verwaltung, in der IT", beschreibt Lier die Kalkulation der Käufer. Außer den klassischen Kostenpositionen aller Unternehmen gibt es noch branchenspezifische Besonderheiten.
Dazu gehören etwa "Sterblichkeitsgewinne" - sprich die Kunden sterben früh - oder Stornogewinne, wenn Versicherte ihre Police voreilig kündigen. Von sinkenden Kosten durch Größenvorteile hatte auch Heidelberger-Leben-Vorstandschef Michael Sattler bei der Ankündigung der Übernahme durch Cinven und Hannover Rück gesprochen.
Gestern kündigte die Gesellschaft aus der Region an, den Kunden im Zuge der Kosteneinsparungen "Vorteile bei der Überschussbeteiligung" bieten zu wollen - ein Aspekt, den Verbraucherschützer äußerst skeptisch sehen. "Eine angemessen hohe Überschussbeteiligung der Kunden ist gefährdet, wenn sich das Unternehmen nicht mehr mit der Konkurrenz messen muss", sagt Axel Kleinlein, Vorstandssprecher des Bundes der Versicherten (BdV), mit Blick auf das Run-Off-Geschäft. Denn Abwicklern wie der Heidelberger Leben fehle der Anreiz, sich am Markt weiter zu behaupten.
Kleinlein kritisiert auch, dass die BaFin drei der sieben Unternehmen nicht nennen wolle, die ihr Neugeschäft einstellen. Kunden müssten davor bewahrt werden, dort Verträge abzuschließen. Bislang seien außer der Skandia nur die Victoria Lebensversicherung, die Bayerische Beamtenversicherung und die Delta Lloyd Lebensversicherung bekannt. Die BaFin hat dagegen bereits angekündigt, "bei Verträgen mit Überschussbeteiligung besonders darauf zu achten, dass diese nicht ausgehöhlt wird".
Nicht vorschnell kündigen
Kunden, der Lebensversicherung verkauft wird, haben nach Angaben der Verbraucherschutz-Organisation BdV keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren - außer, die Police zu kündigen.
Vor diesem Schritt sollten sich Verbraucher allerdings unbedingt von einem unabhängigen Versicherungsberater, einer Verbraucherzentrale oder dem BdV beraten lassen. Sonst droht ein finanzieller Verlust.
Hilfreich dazu sind die jährlichen Standmitteilungen der Versicherung, die Aussagen zu Verzinsung und Ausschüttung treffen sollten.
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