Mannheim. Zwei Ökonomen, drei Meinungen? Diesmal nicht. Selten sind sich die Wissenschaftler so einig wie beim Thema „steuerliche Verlustrechnung“. Wenn Betriebe ins Minus rutschen, können sie ihre Verluste mit früheren oder zukünftigen Steuerzahlungen verrechnen. Die Experten nennen das Verlustrück- und Verlustvortrag. In der Pandemie haben die Ökonomen schnell gemerkt, dass die Optimierung der Verlustrechnung ein wirksames Instrument sein kann. „Es profitieren davon ja nur kerngesunde Unternehmen, die vor der Krise Gewinne gemacht haben und jetzt ohne ihr eigenes Verschulden zu Corona-Opfern geworden sind“, sagt Steuerrechtler Christoph Spengel von der Universität Mannheim. Er forderte schon zu Beginn der Pandemie eine massive Vergrößerung der Abschreibungsmöglichkeiten und schlug den Verlustausgleich als Instrument vor.
„Maßnahmen greifen zu kurz“
Die Bundesregierung ist auf die Vorschläge der Experten eingegangen und hat Korrekturen vorgenommen. Bisher durften Steuerzahler beim Verlustrücktrag nur eine Million Euro (Ehepaare: zwei Millionen) von ihren steuerpflichtigen Einnahmen aus dem Vorjahr abziehen. Beim Verlustvortrag war dies in unbegrenzter Höhe möglich, allerdings ab dem Maximalbetrag von einer Million Euro nur noch bis zu 60 Prozent. In diesem und im nächsten Jahr steigt der Verlustrücktrag auf fünf beziehungsweise zehn Millionen (Verheiratete) Euro. In diesem Umfang können die Unternehmen die Verluste in diesem Jahr mit Gewinnen von 2019 verrechnen und Steuern sparen.
Spengel hat gemeinsam mit Wissenschaftlern vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in einer Studie untersucht, ob die Maßnahmen im Zweiten Corona-Steuerhilfegesetz die Unternehmen ausreichend entlasten. Spengels Fazit fällt negativ aus: „Es fehlt der versprochene große ,Wumms’“, sagt der Steuerexperte in Anspielung auf eine frühere Äußerung von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Spengel: „Die Maßnahmen greifen zu kurz. Die Corona-Krise trifft die deutsche Wirtschaft viel härter als die Finanzkrise.“ Deshalb fordert er weitere Schritte. Nämlich eine deutliche Erhöhung des Verlustrücktrags, der zudem nicht nur für 2019, sondern auch das Jahr davor gelten soll. Außerdem will der Wissenschaftler beim Vortrag von Verlusten, die 2020 entstanden sind, die Mindestbesteuerung von 40 Prozent kippen.
Damit stößt er bei der CDU auf offene Ohren. Diese will die Höchstbetragsgrenzen beim Verlustrücktrag auf 50 Millionen Euro bei der Einzelveranlagung und 100 Millionen bei der Zusammenveranlagung anheben. Die Verlustverrechnung soll außerdem auf zwei Jahre ausgeweitet werden, so dass Verluste aus 2020 auch mit Gewinnen aus 2018 verrechnet werden können. „Von der Ausweitung der Höhe profitiert auch der größere Mittelstand, durch die Ausweitung des Zeitraums denken wir auch an die kleineren Unternehmen, die in einem Jahr weniger Gewinn machen“, sagt Fritz Güntzler, Steuer- und Finanzexperte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Binding: Hilfen reichen aus
Es gibt nur ein Problem: Finanzminister Scholz und die SPD sperren sich – und alle anderen wundern sich. „Ich kann Ihnen die Haltung der SPD nicht erklären, sie ist in dieser Frage völlig isoliert“, sagt Güntzler. Der Heidelberger Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD, winkt ab. „Wir machen doch schon so viel. Die Winterhilfe und das Überbrückungsgeld reichen aus. Man kann es auch übertreiben, außerdem braucht der Staat ja auch die Steuereinnahmen“, sagt Binding. Das letzte Argument kann Spengel allerdings nicht nachvollziehen. „Der Staat verliert doch gar kein Geld, er stundet es den Unternehmen praktisch nur. Und das kostet den Staat so gut wie nichts, weil er ja keine Zinsen zahlen muss.“
Verlustverrechnung
- Wer arbeitet, muss seine Einkünfte versteuern. Wer ein Minus erzielt, kann dieses beim Finanzamt geltend machen. Experten nennen das dann eine steuerliche Verlustrechnung.
- Beispiel: Ein Angestellter erzielt ein Einkommen von 100 000 Euro. Die Renovierung seines vermieteten Hauses kostet 120 000. Der Verlust beträgt 20 000 Euro. Diesen kann der Arbeitnehmer mit den Steuerzahlungen aus dem Vorjahr (Verlustrücktrag) oder dem nächsten Jahr (Verlustvortrag) verrechnen.
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