Das "HeidelBERG-Café" im Stadtteil Emmertsgrund lockt mit Gemütlichkeit. In der Ecke wippt ein braungelockter Junge auf einem Holzschaukelpferd, während seine Mutter einen Kaffee trinkt. Eine Gruppe Rentner unterhält sich angeregt beim Essen. Ein Vater trägt seine Tochter auf den Schulter herein und kauft ihr ein Eis an der Theke. Alles wirkt wie ein ganz normales Café. "Bei uns geht es aber oftmals etwas langsamer und chaotischer zu als anderswo", klärt Bärbel Schippmann auf. Die 61-Jährige ist Teil des Beschäftigungsprojekts des "Vereins zur beruflichen Integration und Qualifikation" (VbI). Eines dieser Projekte ist das "HeidelBERG-Café" selbst. Hier werden Arbeitsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose geschaffen. Sechs Mitarbeiter kümmern sich im Moment um das leibliche Wohl der Gäste.
Bei seiner Sommertour trifft sich Heidelbergs Bürgermeister Wolfgang Erichson (Grüne) mit ehemaligen Langzeitarbeitslosen im "HeidelBERG-Café". Offen plaudert er drauf los und nimmt den Gesprächsteilnehmern sofort jede Scheu. Bald will jeder dem Bürgermeister seine Geschichte erzählen. Nur Stefan Olschewski sitzt zunächst still am Tisch, hört erstmal den anderen zu. Doch als der Bürgermeister ihn nach seinem Job fragt, blüht er auf. Der 33-Jährige ist seit Herbst 2013 Teil des Radhofs Bergheim in Heidelberg. Der Radhof ist das Vorzeigeprojekt des VbI: Eine klassische "Hinterhofwerkstatt" in einem alten Gebäude in der Bergheimer Straße, in der gebrauchte Fahrräder repariert, verliehen und verkauft werden.
"Der Job ist wie ein Sechser im Lotto für mich", schwärmt Olschewski. "Mit meinem Lebenslauf war es sehr schwierig, einen Job zu finden", berichtet er und zuckt entschuldigend mit den Schultern. "Wenn man irgendwann aufwacht und feststellt, ich muss mein Leben ändern, dann geht das gar nicht so einfach." Immer wieder bekam der Vater einer 13-Jährigen Absagen. Beim Jobcenter wagte er schließlich den Vorstoß: "Ich sagte klipp und klar, ich muss einfach etwas machen, was mir Spaß macht. Wenn ich keine Lust auf die Arbeit und die Leute habe, gehe ich eh wieder nicht hin. Und dann zog meine Sachbearbeiterin einen Zettel vom Radhof aus der Schreibtischschublade." Erichson lacht: "Das kann ich gut verstehen. Freude an der Arbeit ist das Wichtigste." Olschewski und Erichson - beide gebürtige Berliner - verstehen sich ausgezeichnet.
Olschewski, der schon als Kind mit seinem Opa Fahrräder reparierte, ist es wichtig, dass deutlich wird, dass der Job kein Geschenk des VbI ist und dass er hart dafür arbeitet, Teil des Projekts zu sein: "Die Kunden sind oft erstaunt, wie schnell wir ein Fahrrad reparieren können. Und wenn eine Reparatur doch mal länger dauert, können sie sich aus unserem Fuhrpark für diese Zeit ein anderes Fahrrad leihen." "Wie in der Autowerkstatt? Das ist ja toll! Sehen Sie, das wusste ich noch gar nicht - Sie sollten ins Marketing wechseln", lobt Erichson.
Bündel an Problemen
Genau diese Art macht es den Gesprächsteilnehmern leicht, sich dem Bürgermeister zu öffnen. Man hat das Gefühl, dass es ihnen gut tut, einmal ohne Scham über die Langzeitarbeitslosigkeit zu reden. Kein Einkommen - aber hohe Schulden, familiäre Probleme, Versagensängste - Langzeitarbeitslose tragen oft ein ganzes Bündel an Problemen mit sich herum. Durch die Chance auf Arbeit, die die Gesprächsteilnehmer vom VbI erhalten haben, lösen sich mit der Zeit viele dieser Schwierigkeiten. "Ein geregeltes Leben, feste Arbeitszeiten und soziale Kontakte mit den Kollegen, machen vieles einfacher", weiß auch Olschewski.
Kristin Heinrich trägt das Essen auf. Zunächst war die 27-Jährige ein wenig nervös, dass sie heute den Bürgermeister bedienen sollte. Aber nach dem Gespräch ist von der Aufregung nichts mehr zu spüren - "der ist doch so nett".
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