Lampertheim. Ob er eine Nacht darüber schlafen wolle, hatte Sylvia Meier, die Rektorin der Alfred-Delp-Schule (ADS) gefragt. Thomas Graubner wollte nicht. Seine Entscheidung stand sofort fest: Er wird mit einer 10. Klasse nach Polen fahren, um dort am 25. Jahrestag der Versöhnungsmesse von Kreisau teilzunehmen.
Für Graubner ist es nicht der erste Besuch in der Lampertheimer Partnerstadt Swidnica. Schon 2008 hat er eine Klasse dorthin begleitet. Noch heute schwärmt er davon und ist sich sicher: "Der Aufenthalt ersetzt viele Stunden Sozialkunde- und Geschichtsunterricht." Was man dort erlebe, bleibe haften.
Das liegt auch daran, dass die Schüler nicht einfach eine Studienfahrt mit Teilnahme an den Feierlichkeiten unternehmen. Wenn sie vom 11. bis 15. November nach Kreisau fahren, treffen sie dort auf eine polnische Klasse. Geplant sind gemeinsame Workshops, die sich mit der Beziehung zwischen den beiden Ländern, der Geschichte der Versöhnungsmesse und dem Ort an sich beschäftigen.
Starke Verbindung zu Kreisau
Graubner hat mittlerweile viel mit seinen Schülern über diese Themen gesprochen. Er hat ihnen erzählt, dass Polen jahrhundertelang zwischen Russland und Deutschland zerrieben wurde. Dass Polen eines der Länder war, das am meisten unter der Nazi-Herrschaft litt. Und dass Kreisau nicht erst seit der Versöhnungsmesse ein geschichtsträchtiger Ort ist.
Denn genau dort, auf dem Hofgut der Familie von Moltke, das heute als internationale Jugendbegegnungsstätte und auch den ADS-Schülern als Unterkunft dient, traf sich während des Zweiten Weltkriegs eine Gruppe von Hitler-Gegnern. Unter ihnen: der Lampertheimer Jesuitenpater Alfred Delp. "Deshalb bin ich überzeugt, dass es richtig ist, dass eine Klasse unserer Schule, die ja nach ihm benannt ist, zur Versöhnungsmesse fährt", sagt Graubner.
Das sieht auch die Lampertheimer Stadtverwaltung so. "Wir wollten unbedingt, dass es im Rahmen der Feierlichkeiten auch eine Jugendbegegnung gibt", macht Dirk Eichenauer vom Fachdienst Kultur und Ehrenamt deutlich. Dass dies möglich wurde, führt er auf die Partnerschaft mit Swidnica zurück: "Würden wir diese nicht pflegen, wäre sicherlich keine Anfrage gekommen, ob Lampertheimer Jugendliche daran teilnehmen wollen", ist Eichenauer überzeugt.
Neben den rund 20 Schülern - deren Aufenthalt wird übrigens komplett vom polnischen Außenministerium finanziert -, wird wohl auch eine offizielle Delegation der Spargelstadt nach Polen reisen. "Wie viele Personen unsererseits teilnehmen können, steht aber noch nicht fest", so der Verwaltungsmitarbeiter.
"Es wird schließlich eine ganze Menge internationale Politik-Prominenz erwartet. Da warten wir lieber mal geduldig", sagt Bürgermeister Gottfried Störmer. Sollte er als Lampertheimer Stadtoberhaupt jedoch eingeladen werden, packe er sofort seine Koffer.
Störmer legt wie sein Vorgänger Erich Maier viel Wert darauf, solche Partnerschaften mit Leben zu füllen. "Wir würden gern einen wiederkehrenden Kontakt zwischen polnischen und deutschen Jugendlichen aufbauen", so Störmer. Der Bürgermeister würde es begrüßen, wenn Lampertheimer Schüler zweimal im Jahr die Kreisauer Begegnungsstätte nutzen könnten - einmal eine Gruppe der ADS und einmal eine vom Lessing-Gymnasium.
Vorurteile abbauen
Thomas Graubner hat nur noch wenige Monate, bis sein Ruhestand beginnt. Weil sein Herz an der Sache hängt, wäre er aber bereit, weiter mitzuarbeiten. "Sozusagen als Anschub für eine Partnerschaft", sagt Graubner und schmunzelt. Auch ihm schwebt ein regelmäßiger Schüleraustausch vor. Denn: "Wenn man Menschen aus anderen Ländern kennt, ist es nicht schwer, zur Völkerverständigung Ja zu sagen."
Man merkt Graubner seine Euphorie an. Doch ob die Schüler genauso begeistert sind? Am Anfang meist nicht, sagt der Lehrer. Doch am Ende des Besuchs 2008 seien Tränen geflossen, erzählt er. Die Schüler hätten die Projekte vor Ort gelobt. "In Polen haben wir mit ganz modernen Methoden gearbeitet", erzählt Graubner. Neben Kennlern- und Gruppenbildungsspielen hätten etwa Gespräche mit Zeitzeugen stattgefunden. Außerdem hätten beide Seiten ihre Vorurteile zu Papier gebracht. "Davon gab es einige. Aber nach den gemeinsamen Tagen waren kaum noch welche übrig", sagt Graubner.
Er und seine Kollegin Herma Dölger, die ihn begleiten wird, kennen das genaue Programm für dieses Jahr noch nicht. Sie wissen nicht, ob Angela Merkel oder Gesine Schwan wirklich kommen werden und ob Gespräche mit diesen hochrangigen Politikern möglich sein werden. Aber beide hoffen, dass die Stimmung ähnlich gut sein wird wie 2008. Dass die Schüler die Geschichte danach besser verstehen und daraus Schlüsse für die Zukunft ziehen können. "Denn die Werte des Kreisauer Kreises - Zivilcourage, Toleranz, Menschenrechte - sind heute so aktuell wie damals", findet Graubner.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/lampertheim_artikel,-lampertheim-lebendige-voelkerverstaendigung-_arid,587642.html