Karlsruhe. Viele Menschen schauen sich, wenn sie zum Arzt müssen. Die Angst vor einem möglicherweise schlechten Ergebnis, lässt sie den Termin immer weiter in die Zukunft schieben. Wie das Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) in einer Mitteilung schreibt, haben Forscher des KIT und der Universität Tilburg eine Methode entwickelt, dieser Furcht zu begegnen. „Es ist eine grundlegende Annahme in der Ökonomie, dass Entscheidungsträger Informationen willkommen heißen. Es gilt also: je mehr Wissen, desto besser“, erklärt Nora Szech, Inhaberin des Lehrstuhls für Politische Ökonomie.
„Ist die Entscheidung aber fundamental wichtig für das eigene Leben, gilt das offenbar nicht immer“, so die Wirtschaftswissenschaftlerin weiter. Als Beispiel nennt sie Patienten, die möglicherweise von einer schweren Krankheit betroffen sind. „Sie vermeiden häufig den diagnostischen Test.“ Um diesem Problem zu begegnen, hat Szech eine Methode entwickelt, die Betroffenen eine Alternative zu den oft gefürchteten präzisen Tests eröffnen soll.
Vorsorge so nicht möglich
Denn eine Diagnose zu meiden, mindert die Möglichkeiten, vorzusorgen und das Leben anzupassen. Ein Beispiel: Die unheilbare Erbkrankheit Chorea Huntington ist schon seit Jahrzehnten mittels Genanalyse vorhersagbar. Ist ein Elternteil betroffen, besteht für die Nachkommen ein 50-prozentiges Risiko, mit ungefähr 40 Jahren selbst krank zu werden. Der Gendefekt führt zu schwersten physischen und psychischen Schäden, sodass die Patienten im Verlauf der Krankheit Vollzeitpflege benötigen.
Empirische Studien zeigen, dass Betroffenen ihr Leben drastisch umgestalten, wenn sie wissen, dass sie gesund bleiben – oder erkranken. Berufs-, Finanz- und Familienplanung werden angepasst.
„Trotzdem entscheiden sich die meisten Risikopatienten gegen den Test“, sagt Szech. „Die Menschen möchten nicht mit der Last des Wissens leben, dass die Krankheit ausbrechen wird“, ergänzt Nikolaus Schweizer von der Universität Tilburg. Grund für die Ablehnung des Tests ist eine Reaktion, die das zukünftige Erleben vorwegnimmt: „Wenn ich als 20-Jähriger erfahre, dass ich mit 40 krank werde, kann das mein Wohlergehen bereits in den kommenden gesunden Jahren stark beeinflussen“, erläutert Szech. „Viele haben Angst davor, die Hoffnung zu verlieren.“
Um diesem Problem zu begegnen, greift die Wirtschaftswissenschaftlerin auf Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie zurück. Bei früheren Forschungen zu moralischem Verhalten untersuchte Szech die unguten Effekte von Streuung etwa von Verantwortung. „Wer sich hinter anderen verstecken kann, verhält sich rücksichtsloser“, fand sie bei Studien heraus. Vor die Wahl gestellt, Geld zu gewinnen oder einer Maus das Leben zu retten, entschieden sich Probanden häufiger für Ersteres, wenn die Entscheidung darüber in einer Gruppe gefällt wurde. Waren sie hingegen allein verantwortlich, verzichteten sie meist auf das Geld und retteten die Maus. „Bei Gruppenentscheidungen greift die Logik, es könne auch ein anderer den Ausschlag gegeben haben.“
Hoffnung bleibt
Geht es aber um die Furcht vor einer schlechten Diagnose, kann die Kraft der Diffusion allerdings positiv genutzt werden. Das zeigen Schweizer und Szech jetzt mit neuen Tests: „Werden zum Beispiel die Proben zweier Risikopatienten gemischt, verliert der Test einen Teil seines Schreckens.“ Ist der Gendefekt nicht vorhanden, können beide Patienten aufatmen – sie werden gesund bleiben und können ihr Leben entsprechend gestalten.
Ist er hingegen vorhanden, bleibt unklar, wer den Gendefekt hat oder ob ihn beide Patienten haben. „Für den Einzelnen bleibt eine 33-prozentige Chance, nicht an Chorea Huntington zu erkranken“, erläutert Szech. Ein solches Ergebnis sei zwar weniger gut als die Ausgangssituation, räumt Szech ein. „Aber es bleibt noch Grund zur Hoffnung.“ Diese Verfahren könnten zudem helfen, die Hemmschwelle für Tests zu senken, weil viele Menschen Studien zufolge Wahrscheinlichkeiten etwas verzerrt wahrnähmen, ergänzt Schweizer. zg
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