Mannheim. "Die besten Rennen sind die, an die ich mich im Ziel nicht mehr erinnere, denn dann weiß ich, dass mein Unterbewusstsein funktionierte", sagt Hannah Mergenthaler. Insofern war die 20-jährige 400-Meter-Läuferin mit ihrem Auftritt bei der Team-Europameisterschaft im französischen Lille in der 4 x 400-Meter-Staffel auch sehr zufrieden. Denn sie sieht zwar die Annahme des Staffelstabs aus den Händen ihrer MTG-Kollegin Nadine Gonska vor ihrem inneren Auge, der Rest ist vergessen. Nicht aber, dass sie Rang drei verteidigte und mit dem DLV-Quartett neun Punkte zum deutschen Gesamtsieg beisteuerte.
"Das erste Mal in der A-Nationalmannschaft, Dritter in der Staffel und Gold mit dem Team - das war ein super Einstand", strahlte die Studentin der PH Heidelberg. "Ich hatte vorher gehört, dass man als Neuling eher auf sich allein gestellt wäre, dass einen niemand an die Hand nehmen würde, aber das Gegenteil war der Fall. Alle sind auf mich zugekommen und haben mich begrüßt. Und mit Laura Müller bin ich seit der JWM in Eugene vor zwei Jahren eng befreundet", freute sie sich, mit der ein Jahr älteren EM- und Olympiaerfahrenen Kollegin das Zimmer zu teilen. "Außerdem fühlte ich mich auch bei unserem Bundestrainer Tobias Kofferschläger gut aufgehoben." Dennoch war sie sehr aufgeregt vor dem Start. "Ich wollte keine Fehler machen, denn dann hätte ich ja noch drei andere enttäuscht." Auch wenn sie sich dann unterwegs auf der Stadionrunde perfekt allein auf sich konzentrierte, spürte sie doch, "dass härter gelaufen wird als in der Jugend, dass Schubsen und Ellbogen-Einsatz an der Tagesordnung sind. Doch das ist ganz okay, ich bin auch keine zaghafte Läuferin. Rempler braucht man, um ins Rennen hineinzufinden."
Vier DM-Titel in Folge
"Sie ist klug gelaufen", befand Heimtrainer Michael Manke-Reimers, der Mergenthaler seit 2012 betreut. Eigentlich wollte er damals gar kein so junges Küken mehr in seine Trainingsgruppe aufnehmen, doch Hannah überzeugte ihn schnell eines Besseren. Seit 2014 gewann sie in der U 18, zweimal in der U 20 und kürzlich auch in der U 23 vier DM-Titel in Folge, vor dem Gold bei der Team-EM war Bronze bei der U-20 WM bisher das internationale Topergebnis. "Wir sind ein sehr gut eingespieltes Team, wir gehen am Tag vor dem Wettkampf und beim Blick in ein neues Stadion noch einmal alle wichtigen Punkte durch, danach will und kann Hannah in Ruhe gelassen werden", vertraut er seinem Schützling.
Hannah selbst sieht sich kritisch. Sie weiß, dass sie auf den ersten 200 Metern noch viel Potenzial hat, aber auch, "dass nicht jedes Training perfekt sein kann. Ich grüble nicht zu viel, denn dann verkrampft man leicht. Ich verlasse mich lieber auf im Training automatisierte Abläufe, auf mein Körpergefühl und auf die Fähigkeit, mich total konzentrieren zu können." Das kommt ihr auch beim Studium zugute, das sie mit Ehrgeiz anpackt. "Sport alleine wäre nicht mein Ding."
Die bisherige Saison lief nach Plan, dem späten Einstieg in Weinheim (54,20) folgte die DM U 23 in Regensburg mit Titel, Bestzeit (53,49) und Nominierung für die EM. Den Rekord steigerte sie kurz darauf in Leverkusen (53,24). Damit schob sie sich in der DLV-Bestenliste auf Platz vier und sicherte sich bei der Team-EM den Einsatz. Im sechsköpfigen Staffelpool ist sie schon seit Jahresbeginn. Das und der bisherige Saisonverlauf geben ihrem geheimen Wunsch Nahrung, auch zur WM nach London fahren zu dürfen. "Im ersten Jahr wäre dabei sein alles, das nächste Mal würde ich dann auch laufen wollen." Doch sie geht die Sache eher locker an, macht sich keinen Stress. "Das hat mir bisher sehr gut getan, denn ich war immer sehr befreit. Letztes Jahr habe ich mit der EM und Rio geliebäugelt und hat knapp nicht geklappt. Deshalb habe ich mich etwas vom Gedanken an London distanziert."
Das Nahziel ist die Staffel bei der U-23-EM in Bydgoszcz. Gleichwohl denkt Mergenthaler auch weiter: "Bei der EM nächstes Jahr in Berlin wäre meine ganze Familie dabei und wenn man Rio so knapp verpasst hat, dann muss auch Tokio 2020 in den Blick rücken."
Hannah Mergenthaler
Hannah Mergenthaler wurde am 9. März 1997 in Schwetzingen geboren, wohnt in Oftersheim und studiert an der PH Heidelberg Lehramt für Grundschulen (1. Semester).
Nach Versuchen beim Ballett, Judo und Handball begann sie als 12-Jährige bei der LG Kurpfalz mit der Leichtathletik und wechselte 2012 zur MTG in die Trainingsgruppe von Michael und Iris Manke-Reimers.
Ihre Spezialstrecke sind die 400 Meter, seit 2014 gewann sie alle DM-Titel in der U 18, in der U 20 (2x) und der U 23. Ihre Bestzeit ist 53,24 sec. Damit ist sie die Nummer vier der DLV-Bestenliste der Frauen.
Weitere Erfolge: Gold bei der Team-EM 2017, jeweils Bronze bei der U-20-DM 2016 (200 m), der U-23-DM 2015 und der U-20-WM (Staffel). Vom 13. bis 16. Juli nimmt sie an der U-23-EM im polnischen Bydgoszcz teil. sd
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/sport/lokalsport_artikel,-lokalsport-mannheim-koerpergefuehl-und-koepfchen-_arid,1076789.html