Mannheim/Appeldoorn. Wenn heute im niederländischen Appeldoorn die Bahnrad-Weltmeisterschaften beginnen, werden sich im traditionell erfolgreichen Sprintbereich bei den Frauen wieder alle Blicke auf die Olympiasiegerinnen Kristina Vogel (Erfurt) und Miriam Welte aus Kaiserslautern richten. Doch vor allem für die Radsport-Fans aus der Region lohnt sich durchaus ein zweiter Blick auf die Startliste: Mit Mandy Marquardt tritt im achtköpfigen Frauen-Team der USA schließlich eine gebürtige Mannheimerin bei den Welt-Titelkämpfen an – und ihren Heimatverein RRC Endspurt hat die 26-jährige Kurzzeit-Spezialistin dabei immer noch fest im Herzen.
„Mannheim wird immer ein Stück Heimat für mich bleiben“, sagt Marquardt ohne zu zögern – und das ist mehr als eine Floskel. Schließlich wurde die Bahn-Sprinterin in der Quadratestadt geboren und wohnte bis zu ihrem sechsten Lebensjahr in Mannheim-Niederfeld, bevor sie mit ihren Eltern in die USA zog. Dort probierte sie sich in verschiedenen Sportarten aus, die Leidenschaft für das Rennrad, die auch ihren Vater Gert Marquardt beim RRC Endspurt Mannheim prägte, blieb aber die große Konstante in Mandys Leben. „Radfahren bedeutet für mich Adrenalin pur“, sagt die schnelle Frau auf zwei Rädern, die als 15-Jährige mit ihrem Vater wieder nach Mannheim zurückkehrte – auch um die sportliche Karriere voranzutreiben.
Mit Altig auf dem Apfelbaum-Weg
Daran kann sich auch Willi Altig noch gut erinnern. „Mandy stand eines Tages kurz vor der Mittagspause vor meinem Laden, konnte kaum ein Wort deutsch und wollte sich ein Rennrad ausleihen“, blickt die Mannheimer Radsport-Legende mit einem Schmunzeln zurück. Also schloss der heutige Präsident des RRC Endspurt sein Geschäft ab und begleitete den Teenager über den Apfelbaum-Weg, die beliebte Trainingsrunde der Mannheimer Radsportler in Richtung Odenwald. „Ich konnte sie ja schlecht in dem ganzen Verkehr alleine lassen“, sagt Altig.
Nicht zuletzt aus dieser Begebenheit entwickelte sich eine tiefe Sport-Freundschaft. „Für die Unterstützung durch Willi, seiner Frau Eva und der ganzen Endspurt-Familie werde ich immer dankbar sein“, sagt Marquardt. Dass die „Endspurtler“ ab heute live in Appeldoorn dabei sind, versteht sich von selbst.
Ihre zweite Mannheimer Zeit verbindet Marquardt allerdings auch mit einem einschneidenden Erlebnis der weniger angenehmen Sorte. Bei der damals 16-Jährigen, die zu diesem Zeitpunkt auch im deutschen Nationaltrikot fuhr, wurde Typ-1-Diabetes diagnostiziert. Leistungssport sei mittelfristig nicht mehr mehr möglich, meinte der behandelnde Arzt.
Für die Jugendliche brach damals eine Welt zusammen, doch Aufgeben war für Mandy damals keine Option. Als 18-Jährige – mittlerweile zurück in den USA – schloss sie sich dem Team Novo Nordisk an, das speziell an Diabetes erkrankte Ausdauersportler unterstützt, und stellte unter Beweis, dass sich die Stoffwechselerkrankung und Spitzensport nicht ausschließen müssen. Vor allem nach dem Abschluss ihres Studiums an der Pennsylvania State Lehigh-Valley-Universität in Allentown startete die Mannheimerin so richtig durch: US-Meisterin im 500-Meter-Zeitfahren und im Teamsprint (2014), vierfache US-Meisterin 2016, unter anderem Panamerika-Meisterin im Teamsprint 2017 und über Weltcup-Einsätze nun erstmals auch bei der WM am Start.
„Appeldoorn gehört zu meinen Lieblings-Bahnen und dort die Vereinigten Staaten zu repräsentieren, ist eine fantastische Gelegenheit“, freut sich die Bahnradspezialistin auf ihre Einsätze beim 500-Meter-Zeitfahren, im Team- und Individual-Sprint. Dabei hat sich die Radsportlerin keine speziellen Platzierungen als Ziele gesetzt, sondern will vor allem den nächsten Schritt in Richtung ihres großen Traums machen: die Olympischen Spiele 2020 in Tokio.
„Das wäre nicht nur der Höhepunkt meiner Karriere, sondern auch die einmalige Chance, andere Sportler mit Diabetes zu beflügeln und zu bestärken“, sagt Marquardt mit Blick auf die nächsten Sommerspiele in Fernost.
Doch zunächst stehen natürlich noch ihre ersten Weltmeisterschaften in Appeldoorn an. Seit Samstag befindet sich die US-Auswahl in den Niederlanden, die zwei Wochen davor bereitete sich das USA Cycling Team auf Mallorca für die WM vor. Im Mannschaftshotel vor Ort wohnt Marquardt übrigens unter einem Dach mit den deutschen Spitzenfahrerinnen Kristina Vogel und Miriam Welte. „Das sind tolle Sportlerinnen und nette Mädels – auch ohne Rad. Ich konnte mich schon ein bisschen auf deutsch mit ihnen unterhalten“, berichtet die Mannheimerin von den ersten Tagen in der WM-Stadt.
Späte Entscheidung für den Sprint
Dass das deutsche Duo der US-Sprinterin dort wohl noch etwas voraus sein wird, hat sicher auch damit zu tun, dass sich Marquardt vor sechs Jahren erst relativ spät ganz auf den Bahn-Sprint konzentrierte. „Ich wünschte, ich hätte diese Entscheidung etwas früher getroffen, aber nun ist es so, wie es ist. Ich schaue nur nach vorne“, sieht sich die 26-Jährige noch lange nicht am Ende ihrer Entwicklung und hat im Oval noch einiges vor.
„Das hat mir schon als Zehnjährige gefallen. In die hohen Kurven reinzufahren, Geschwindigkeit aufzunehmen. Ich habe das immer gemocht“, erinnert sich Marquardt und denkt dabei auch an die Endspurt-Betonpiste im Herzogenried. Die Quadratestadt ist und bleibt eben ein großes Stück Heimat für Mandy aus Mannheim.
Ziwischen zwei Staaten
- Mandy Marquardt wurde am 7. August 1991 in Mannheim geboren und wohnte bis zu ihrem sechsten Lebensjahr in Neckarau-Niederfeld.
- Danach zog sie mit ihrer Familie in die Vereinigten Staaten und begann als Zehnjährige mit dem Radsport.
- Mit 15 zog sie mit ihrem Vater zurück nach Deutschland, startete bei deutschen Bahnmeisterschaften und wurde in zwei Jahren hintereinander Dritte im 500-Meter-Zeitfahren der Juniorinnen.
- Bei einem Routine-Gesundheitscheck wurde entdeckt, dass die damals 16-Jährige unter Typ-1-Diabetes leidet.
- Marquardt kehrte wieder in die USA zurück, seit 2009 fährt sie für das Team Novo Nordisk, einem Radsportteam für Menschen mit Diabetes. (th)
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