Sie sind viel zu warm angezogen für das Wetter. Mit Anzughosen und Hemd stehen die beiden Männer im Schlossgarten. Die beiden Frauen haben es da einfacher, sie stecken in luftigen Kleidern - sind allerdings barfuß. Plötzlich setzen sich die vier in Bewegung, tanzen aufeinander zu, drehen sich im Kreis. Ihre Bewegungen sind anmutig, die Mimik allerdings ausdruckslos. Sie wirken in einem Tanzkurzfilm mit dem Titel "Garden of Others" mit, den der junge Choreograf Pascal Sangl im Schlossgarten dreht (wir berichteten).
Mit dem heißen Sommerwetter hat die internationale Crew um Pascal Sangl beim Dreh zu kämpfen. Immer wieder ziehen sich die Tänzer in den Schatten zurück, wenn es an die Besprechung und die Verbesserungen geht. "Wenn wir jetzt gleich Nahaufnahmen machen, achtet darauf, dass euer Gesichtsausdruck leer bleibt", merkt Sangl beispielsweise an.
Es geht auch um unsere Macken
Der Film hat zum Inhalt, wie sich Dating-Apps auf unsere Beziehungsfähigkeit auswirken. Pascal Sangl kritisiert die Apps, weil sie uns auf Äußerlichkeiten reduzieren, jeder sich möglichst perfekt darstellen möchte. Dabei geht es in einer Beziehung für ihn gerade auch um die Macken, die jeder von uns hat und die man lieben lernen muss, wenn man die Beziehung nicht gleich bei der ersten Krise "wegwischen" will wie ein Tinderprofilbild.
Der Schlossgarten mit seiner perfekten Architektur soll dabei diesen Wahn nach Perfektion in der Selbstdarstellung widerspiegeln. "Unser größtes Problem jetzt beim Dreh sind die Menschen, die vorbeilaufen und dabei im Bild sind", erklärt Sangl, welche Herausforderungen der Schlossgarten bietet. "Im Studio weiß man immer, was passieren wird und wie die Lichtverhältnisse sind. Hier sind eben Leute und die Sonne versteckt sich mal hinter einer Wolke oder ähnliches", macht auch Tänzer Fabian Modin aus Stockholm klar. Für ihn sind Sonne und Hitze die größten Herausforderungen, für die Tänzerinnen aber "der Boden, denn sie sind barfuß oder tragen High Heels".
Doch Pascal Sangl treibt die Tänzer an, schließlich soll der Film nach den drei Drehtagen im Kasten sein. Und so bewegt sich Kameramann Andras Gravi Kiss um die Tänzer herum, während diese miteinander agieren, immer wieder mit ihrem Intimbereich aneinanderstoßen, um den sexuell oberflächlichen Charakter von Dating-Apps zu symbolisieren. Doch kaum ruft der Choreograf "Cut", eilen alle wieder in den Schatten. Die Frau, die für das Make-Up zuständig ist, hat alle Hände voll damit zu tun, den Schweiß abzutupfen und die Schminke aufzufrischen.
Musik hören die Tänzer bei ihren Bewegungen übrigens nicht. Bei Pascal Sangl entsteht zuerst die Bewegung, dann kommt im Nachgang die maßgeschneiderte Musik dazu. Aber wie tanzt man ohne hörbaren Takt? "Wir zählen natürlich schon mit", erklärt Fabian Modin, "aber generell fühlen wir einander auch und können unsere Schritte deshalb aufeinander abstimmen." Produzent Zsolti Szabo würde eigentlich andersherum vorgehen. "Ich würde erst die Musik auswählen, weil sie einem ja auch Impulse gibt, wie man sich bewegen kann. Deshalb bin ich bei diesem Prozess hier wirklich sehr neugierig auf das Ergebnis", meint der 30-Jährige aus London.
Blasen an den Füßen
Nach den beiden Drehtagen im Schlossgarten sind die Tänzer noch auf der Wachenburg in Weinheim unterwegs. Die verwinkelte Architektur soll ausdrücken, wie Beziehungen auf altmodische Weise beginnen sollten: Mit dem direkten zwischenmenschlichen Kontakt ohne all den Drang zur Perfektion. Pascal Sangl ist ganz zufrieden mit seinem Projekt: "Ich bin froh, dass wir die Drehgenehmigungen bekommen haben und das bisher ganz gut geklappt hat." Und so sind die Tänzer am Ende des Drehtages erschöpft, die Frauen haben von ihren hohen Schuhen Blasen an den Füßen, aber alle sind glücklich.
Der Tanzfilm soll nach erfolgreicher Produktion auf Tanzfilmfestivals und bei Schlossfestspielen gezeigt werden. Für die Nachbearbeitung sucht Pascal Sangl noch Spenden.
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