„Die anglo-amerikanische Welt weiß überhaupt nicht, was sie alles den Deutschen zu verdanken hat“, eröffnete Dr. Gunter Zimmermann seinen Vortrag bei der Sitzung der Bürgerinitiative „Aufbruch 2016“. „Mit dieser These“, fuhr er fort, „macht der englische Historiker Peter Watson in seinem tausendseitigen Werk ,Der deutsche Genius’ auf Dinge aufmerksam, die auch dem deutschen Volk völlig entfallen sind, obwohl sie unseren Alltag heute noch prägen.“
Unter den vielen Punkten griff der Referent vier heraus, die im internationalen Zusammenhang „typisch deutsch“ sein. An erster Stelle nannte er die Konzeption des großen Altphilologen Friedrich August Wolf (1759-1824), der praktisch im Alleingang die heute noch für alle Geschichtswissenschaften gültige historisch-kritische Methode schuf. „Doch nicht nur das: Wolf propagierte als Ziel aller Erziehung das selbstständige kritische Denken und es gelang ihm, dieses Ideal im Bildungswesen seiner Zeit durchzusetzen.“ Von seiner Wirkungsstätte Berlin aushabe sich diese Vorstellung im Westen verbreitet, so Zimmermann.
Immanuel Kant (1724-1804) sei herausragend in der Philosophie. Seine große Leistung sei es gewesen, die Subjektivität in den Mittelpunkt des philosophischen Denkens zu rücken. Diese Orientierung sei für die gesamte moderne Philosophie gültig, wobei gerade deutsche Philosophen sich um die Erforschung des Subjekts und die Herausarbeitung der subjektiven Dimension des menschlichen Daseins bemühten. „Wie fühlt es sich an, ein Ich zu sein, ist eine typisch deutsche Frage der Philosophie, die gegenwärtig vor allem von Thomas Nagel (geb. 1937) beantwortet wird.
Intensiver schriftlicher Austausch
Der geschichtlichen Eigenart, nicht wie England oder Frankreich ein Zentrum zu besitzen, sondern mehrere gleichrangige Hauptstädte, verdanke nach Peter Watson die moderne Physik und die moderne Mathematik ihre „deutsche“ Entstehung. Da die führenden Köpfe nicht an einem Ort versammelt gewesen seien, hätten Fachzeitschriften die Verbindung zwischen weit entfernten Universitäten herstellen müssen. Der Überlegenheit der schriftlichen über die mündliche Kommunikation sei es zuzuschreiben, dass deutsche Physiker und Mathematiker gründlicher über die Grundlagen ihrer Fächer nachdenken mussten als Gelehrte anderer Länder. Darum seien mit wenigen Ausnahmen die bahnbrechenden Mathematiker – an erster Stelle der geniale Carl Friedrich Gauß (1777-1855) – und Naturwissenschaftler des 19. Jahrhunderts Deutsche gewesen.
„Typisch deutsch“ sei auch, schloss Dr. Zimmermann, die von Wilhelm von Humboldt (1767-1835) entwickelte Idee der Universität, die sich ebenfalls in der gesamten Welt durchgesetzt habe. Der grundlegende Gedanke Humboldts sei die Institutionalisierung der Forschung gewesen, die gewissermaßen aus der Wissenschaft einen Beruf gemacht habe: „Während bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts alle großen Erfolge letzten Endes von Amateuren, von Liebhabern der Wissenschaft, erzielt wurden, ist durch Humboldt die Wissenschaft zu einem kontinuierlichen, professionellen Prozess geworden. Welche Bedeutung das für die heutige Welt hat, muss nicht mehr erklärt werden“, sagt Zimmermann bei seinem Vortrag.
Thesen für eine Leitkultur
Die Initiative Aufbruch 2016 will nach diesem Impulsreferat Thesen für eine deutsche Leitkultur formulieren. Die meisten Bemühungen zur Integration von Ausländern seien gescheitert, war die Überzeugung der Mitglieder des Sprecherrats. Dies sei auch kein Wunder, wenn niemand wisse, in welche Kultur sich die Ausländer integrieren sollten. zg
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